Die Verbreitung psychischer Leiden und die Verbreitung flexibler Arbeitsformen – gibt es einen Zusammenhang?
Mit der Globalisierung hat sich der Wettbewerbsdruck unter den Unternehmen intensiviert. Die flexible «Just in time»-Nutzung der Arbeitskraft bildet eine Antwort der Unternehmen auf den gestiegenen Kostendruck. Seit Beginn der neunziger Jahre erhalten befristete Arbeitsformen, darunter auch Temporärarbeit, daher weltweit Auftrieb. Ein Beitrag von: swisstaffing.
Als Reaktion darauf wurden vor allem in Europa Stimmen laut, die die Arbeitnehmenden in solchen flexibilisierten Arbeitsverhältnissen schützen wollen. In ihren Augen leidet das Wohlbefinden befristet Angestellter unter der eingeschränkten Jobsicherheit. Der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, der auf Invalidenrenten oder Krankentaggelder als primäre Einkommensquelle angewiesen ist, wächst in den OECD Ländern. Der Anteil der psychisch bedingten IV-Rentenvergaben nimmt zu. In der Schweiz betrug ihr Anteil im Jahr 1995 29 Prozent. 2004 ist der entsprechende Anteil auf 41 Prozent gestiegen. Die Frage ist, ob diese Entwicklungen mit der Flexibilisierung der Arbeit zusammenhängen, wie es gewisse Kreise befürchten. Der kürzlich erschienene Employment Outlook 2008 der OECD untersucht in seinem vierten Kapitel die Auswirkungen des Arbeitsmarktstatus und verschiedener Arbeitsbedingungen auf die psychische Gesundheit. Das Ergebnis der Untersuchung lautet:
Der Wechsel von der Beschäftigung in die Arbeitslosigkeit beeinträchtigt die psychische Gesundheit; der Wechsel von der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung fördert die psychische Gesundheit – unabhängig davon, ob ein regulärer oder nicht regulärer (z.B. temporärer) Job angenommen wird.
Eine ähnliche Feldstudie aus dem Jahr 2006 untersucht die Zufriedenheit und Gesundheit von befristet und fest Angestellten. Ihre Schlüsse: Befristet Angestellte sind glücklicher, gesünder und zufriedener mit ihrer Arbeit als Festangestellte.
Nicht die Arbeitsform, sondern die Arbeit an sich ist entscheidend fürs Wohlbefinden!
Die Untersuchung der OECD zeigt, dass sich ein Wechsel in die Erwerbslosigkeit negativ auf die psychische Befindlichkeit auswirkt. Interessanterweise wirkt sich ein Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit infolge Krankheit schlimmer auf die psychische Befindlichkeit aus als ein anders bedingter Wechsel in die Arbeitslosigkeit. Umgekehrt wirkt sich die Aufnahme eines Jobs positiv auf die psychische Gesundheit aus. Dieser Effekt wirkt unabhängig von der Arbeitsform, d.h. bei regulärer und nicht regulärer Beschäftigung.
Bei der Aufnahme eines regulären Jobs sind die positiven Effekte auf die psychische Gesundheit allerdings grösser. Zu berücksichtigen ist aber, dass vorbestehende psychische Leiden einen Einfluss auf das aktuelle psychische Befinden haben. Darum hält die OECD fest, dass sich die Aufnahme eines nicht regulären Jobs zwar weniger günstig auf die psychische Befindlichkeit auswirkt als der Wechsel in die reguläre Beschäftigung, dies aber nicht auf die Arbeitsform zurückzuführen sei. Vielmehr sei eine stärkere Neigung psychisch anfälliger Personen, nicht reguläre Jobs innezuhalten, die Ursache. Wie eine Untersuchung von swissstaffing bestätigt, erhalten gewisse Arbeitsmarktgruppen oft nur über nicht reguläre Jobs Zugang zum Arbeitsmarkt.
Temporär und befristet Angestellte sind zufriedener und gesünder
Zu einem ähnlichen, wenn auch pointierterem Ergebnis gelangt die PSYCONES-Studie: Befristet Angestellte sind glücklicher, gesünder und zufriedener mit ihrer Arbeit als Festangestellte. Sie fehlen auch seltener am Arbeitsplatz. Dies gilt insbesondere für hochqualifizierte Arbeitnehmende, die die temporäre Anstellungsform suchen. Aber auch weniger gut Qualifizierte, die eine Festanstellung dem befristeten Einsatz vorziehen, sind zufriedener als vergleichbare Beschäftigte mit unbefristeten Arbeitsverträgen. Die Gründe für die Zufriedenheitsdifferenzen liegen in den höheren Erwartungen, die Festangestellte an ihre Arbeitgeber richten, und in einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Festangestellte. Eine zentrale Rolle für die Arbeitszufriedenheit sowie auch für die generelle Lebensqualität spielt der psychologische Vertrag zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgeber. Er beinhaltet gegenseitige Erwartungen und Verpflichtungen im Hinblick auf die Arbeitszeit, Arbeitsinhalte, Beförderungsmöglichkeiten und Entlöhnung, die vorausgesetzt, aber nicht formal festgehalten sind. Festangestellte haben in der Regel umfangreichere psychologische Verträge als temporär Arbeitende, das heisst, sie richten höhere Erwartungen an den Arbeitgeber, erhalten weiter reichende Angebote vom Arbeitgeber, gehen aber auch selbst mehr Verpflichtungen ein.
Trotz oder gerade deswegen sind die Festangestellten aber unzufriedener mit ihren psychologischen Verträgen, weil die Versprechen in ihren Augen häufiger durch den Arbeitgeber verletzt werden, als dies bei befristet Angestellten der Fall ist. Festangestellte beklagen sich zudem oft über mangelnde Unterstützung durch die Vorgesetzten, Zeitdruck, Überbelastung und Beeinträchtigung des Privatlebens durch die Arbeit. Insbesondere junge Menschen leiden unter den höheren Stressbedingungen fester Anstellungen. Beschäftigte mit unbefristeten Verträgen fühlen sich in der Ausführung ihrer Aufgaben zwar freier und haben das Gefühl, ihre Qualifikationen besser einbringen zu können.
Trotzdem reichen diese positiven Effekte nicht aus, um die negativen Ausflüsse der hohen Arbeitsbelastung zu kompensieren.
Das führt sogar so weit, dass der potenzielle Verlust des Arbeitsplatzes von Festangestellten als gravierendere Belastung wahrgenommen wird als von Personen mit einem von vornherein befristeten Arbeitsverhältnis. Eine mögliche Erklärung für dieses scheinbar paradoxe Ergebnis liegt im psychologischen Vertrag. Im Falle der befristeten Beschäftigung beinhaltet dieser die Jobsicherheit offensichtlich nicht, wodurch die temporär Arbeitenden diese im Unterschied zu den Festangestellten auch nicht als Vertragsbruch empfinden. Das erklärt auch, weshalb die fest Beschäftigten weniger zufrieden sind, obwohl sie weitaus häufiger als temporär Beschäftigte angeben, unter der gewünschte Vertragsform angestellt zu sein. Die tieferen Zufriedenheits- und Gesundheitswerte der Festangestellten stellen allerdings absolut gesehen nicht unbedingt schlechte Werte dar. Sowohl die befristet als auch die unbefristet Beschäftigten geben im Durchschnitt bei praktisch allen Indikatoren eher positive als negative Werte an.
Die Lehren – Implikationen für Wirtschaft und Politik
Entgegen verbreiteter Befürchtungen legen die Studien nahe, dass befristet Angestellte gut mit der zeitlichen Begrenzung ihres Arbeitseinsatzes umgehen können und flexible Anstellungsverhältnisse die Lebensqualität nicht beeinträchtigen. Die eher positiven Zufriedenheits- und Gesundheitswerte von temporär Beschäftigten und Festangestellten und die Beobachtung, dass eine Beschäftigung generell für das psychische Befinden förderlich ist, zeigen, dass die Verbreitung flexibler Arbeitsformen nicht für die Zunahme der psychischen Leiden in der Bevölkerung verantwortlich gemacht werden kann. Damit soll allerdings nicht negiert werden, dass temporär Arbeitende gewisser Absicherungen bedürfen. Das – auch im Rahmen des neuen GAV für temporär Arbeitende umgesetzte – Konzept der Flexicurity bietet eine gute Zielvorgabe.
Es müssen Lösungen gefunden werden, die die globalisierungsbedingt notwendigen Flexibilisierungsstrategien der Unternehmen auf eine Art und Weise kanalisieren, die das Überleben der Unternehmen sichern und gleichzeitig den Arbeitnehmenden die notwendige Beschäftigungs- bzw. Einkommenssicherheit gewährleisten.
Die Studien zeigen, dass die temporäre Beschäftigung eine valable Alternative zur Festanstellung sein kann. Eine optimale Zufriedenheit und Arbeitseinstellung der Beschäftigten solcher Arbeitsverhältnisse setzt allerdings eine gute Einbindung in den Einsatzbetrieb sowie gewisse Sicherheiten, das heisst direkte oder indirekte Aussichten auf eine längerfristige Anstellung, voraus. Für die Arbeitgeber von temporärem Personal bedeutet das, dass bei der Vergabe befristeter Arbeitseinsätze auf Folgendes zu achten ist: Die Einsätze sollen den Arbeitnehmenden eine entweder unmittelbare Chance auf Weiterbeschäftigung oder Festanstellung im Einsatzbetrieb oder eine mittelbare Weiterbeschäftigungschance bieten, indem ihre Arbeitsmarktfähigkeit durch den Arbeitseinsatz gefördert wird.
Wenn auf politischer Ebene Anstrengungen unternommen werden, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, sollten sich diese, wie die Ergebnisse der PSYCONES-Studie nahe legen, mindestens ebenso an feste Arbeitsverhältnisse richten wie an temporäre. Für die Arbeitgeber und insbesondere die HR-Verantwortlichen von festangestelltem Personal zeichnet sich ein Handlungsbedarf bei der Arbeitsqualität ab. Um stress- und enttäuschungsbedingte Beeinträchtigungen der Motivation zu verhindern, muss darauf geachtet werden, implizite und explizite Versprechen und Angebote hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, Arbeitsinhalte und Karriereaussichten einzuhalten. Ebenso sollten die Arbeitsbelastung sowie die Unterstützung durch die Vorgesetzten ein Thema sein. Keine Arbeit zu haben, so die OECD-Studie, ist gesundheitsschädigend. Daraus lassen sich zwei weitere Schlüsse ableiten.
Erstens sollen möglichst alle Personen im erwerbsfähigen Alter einer Arbeit zugeführt werden können. Gerade nicht reguläre Arbeitsformen können sich für die Eingliederung von Problemgruppen eignen, wie die erwähnte Studie von swissstaffing zeigt.
Ohne nicht reguläre Beschäftigungen bliebe diesen Personen der Zutritt zum Arbeitsmarkt oft verwehrt.
Zweitens ist es wichtig, Maßnahmen zu treffen, die bei Erkrankungen von Arbeitnehmenden eine frühe Behandlung und Reintegration in den Arbeitsprozess fördern (beispielsweise Anpassung des Pflichtenhefts, Senkung der Anforderungen, Gewährung von mehr Freizeit). Das von swissstaffing lancierte Pilotprojekt swisstempcare funktioniert ganz in diesem Sinn. Mittels Krankenbesuchen bei temporär Arbeitenden sollen eine saubere Abklärung der Krankheit bzw. des Unfalls und die rasche Reintegration in den Arbeitsprozess möglich werden. Anstrengungen im Bereich der Arbeitsreintegration dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine richtige medizinische Behandlung Voraussetzung für die Genesung ist. Die rasche Rückführung von erkrankten oder verunfallten Personen in den Arbeitsprozess darf nicht zu einer Überlastung der Betroffenen führen. Im richtigen Mass kann sie aber weitere (psychische) Schäden infolge Erwerbslosigkeit vermeiden.