Ist der Mensch auf Knopfdruck lesbar?
‚Dein Gesicht spricht Bände‘, ist eine geflügelte Ausdrucksweise der deutschen Sprache. Die Gesichtsmimik sagt viel über uns aus. Sagt sie alles aus? Die ‚Gesichtsleser‘ sind auf dem Vormarsch.
Ausgangslage: Bewerbungen sind auf Interesse gestossen. Vorselektionen und erste ‚Fern-Interviews‘ wurden schon geführt. Die Auswahl wurde eingedampft auf die Besten. Die Mitarbeitenden der Personalabteilung möchten nun diese Auswahl an Bewerbenden zu Gesprächen einladen. Bevor es jedoch so weit kommt, müssen diese noch eine weitere Hürde nehmen und eignungsdiagnostische Abklärungen über sich ergehen lassen.
Meistens erhalten die Bewerbenden einen Zugangscode zu einem interpretierenden Auswertungssystem. Im Volksmund werden diese als Testbatterie bezeichnete. Dazu mehr Infos hier. Diese Anwendungen kann man dann in Ruhe zuhause Frage um Frage beantworten. Die Selbsteinschätzung, und das ist sie nun mal, wird dann durch die Software ausgewertet und spuckt ein Resultat aus.
Diese eignungsdiagnostischen Hilfsmitteln, mehr sind sie nicht, helfen, grosse Mengen an Daten schnell mit Anforderungen abzugleichen und diese mit anderen Bewerbenden zu vergleichen. Diese Selbsteinschätzungen sind dann einigermassen aussagekräftig (valide), wenn die Person die Fragen ehrlich beantwortet und keine Tricksereien verübt.
Viele Bewerbende haben sich in der Zwischenzeit klug gemacht und wissen mit berechnender Chuzpe wie solche Anwendungen getäuscht werden können, damit Ergebnisse vorteilhafter ausfallen und die Deckungsgleichheit mit den gestellten fachlichen wie auch persönlichen Anforderungen möglichst optimal ist.
Selbstverständlich wird immer wieder von den Anbietern solcher Produkte behauptet, dass Ungereimtheiten aufgrund von widersprüchlichen Plausibilitäten als ‚Tätermuster‘ abgebildet werden können. Mit anderen Worten: Bescheisst der Anwender, sieht es der Auswerter. Auch das ist eine liebgewonnene Behauptung.
Die etwas Gescheiten, die mit psychologischer Affinität gesegnet sind, gehen die Beantwortung der Fragen mit Raffinesse an und machen sich einen Reim auf die Fragen. In der Regel tricksen diese mit systemischer Gründlichkeit eignungsdiagnostische Einschätzungssoftware aus und beeinflussen das Ergebnis dergestalt, damit das Resultat optimiert rauskommt und die Chancen auf eine begehrte Anstellung deutlich ansteigen.
Das Verhalten ist menschlich und nicht verwerflich. Der Mensch neigt dazu, Situationen so zu gestalten, dass sie seinen Zielen dienen. Wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, dann wird sie hemmungslos genutzt. Zur Eignunsdiagnostik ein paar Infos mit diesem LINK.
Der Zeit- und Erfolgsdruck, der zuweilen auf den Personalabteilungen lastet, ist immens.
- Warum geht die Rekrutierung nicht schneller?
- Warum ist diese Fachabteilung nicht fähig, akzeptable Selektionsleistungen zu präsentieren?
- Warum finden die einfach nicht die richtigen Bewerbenden?
Dieser Druck führt dazu, dass die Personalgewinnung immer hastiger ausfällt und oft die redliche Reife bei der Rekrutierung fehlt. Dass man dann dazu diagnostische Hilfsmittel in Anspruch nimmt, um die Wirtschaftlichkeit einer aufwandsproduzierenden Fachabteilung zu optimieren, ist nicht mehr als verständlich. Der ökonomische Einstellungsdruck, kann jedoch die Einschätzungsqualität bei der Rekrutierung massiv eintrüben und zu Fehlleistungen führen. Schnell sein kann im schlechtesten Fall massiv ausbremsen. Hier dazu noch eine treffende Meinung wie folgt:
Methodische Finessen werden gegenüber monetären Zielen zurückgestellt
Aber auch die Personalpraktiker verschliessen sich oftmals der Forschung. In vielen Fällen assoziieren diese nämlich Forschungsansätze mit einem schwer nachvollziehbaren Nutzen, einer geringen Akzeptanz im eigenen Unternehmen und nicht zuletzt mit einem erhöhten Aufwand. Hinzu kommt, dass der monetäre sowie personelle Nutzen von entsprechenden Massnahmen, die sich aus den Forschungsergebnissen ableiten, gegenüber dem Vorstand bzw. der Geschäftsleitung von den Forschern und Personalverantwortlichen kaum einmal klar argumentiert werden können. Zudem stehen den wissenschaftlich fundierten Ansätzen der Diagnostik sowie der Personalpsychologie in den Unternehmen oftmals geringe Budgets, ein hoher Projektdruck und auch Themen, denen eine weitaus höhere Priorität eingeräumt wird, gegenüber. Erkenntnisse zur Eignungsdiagnostik oder auch zur Personalpsychologie werden dabei zu oft an ihrem unmittelbaren Nutzen und den anfallenden Kosten gemessen; die methodische Finesse bleibt hingegen unberücksichtigt (Quelle: www.peats.de)
Die Technik ist faszinierend. Besonders dann, wenn man sich damit das Leben, ob beruflich oder privat erleichtern kann. Auch bei der Rekrutierung greift die Technik immer mehr um sich. Alle möchten, dass Menschen quasi auf Knopfdruck lesbar werden und ihr Inneres einfach so preisgeben, damit man sie dann gewinnbringend in die richtigen Teams stecken kann und sie die richtigen Aufgaben erhalten. Leider ist und bleibt das, zumindest auf nähere Zukunft hin, ein Wunschglauben. ‚Trial and Error‘ ist nicht nur in der Wissenschaft gang und gäbe, sondern auch im Personalwesen.
Selbst nach allen Auswertungen, Prüfungen, Assessments, Referenzauskünften und anderen bekannten Vorgehensweisen liegt die Persönlichkeit eines Menschen nicht offen da. Es gibt immer Bereiche, die im Dunkeln bleiben.
Die maximale Probezeit, insgesamt 3 Monate nach schweizerischem Arbeitsrecht, ergibt in der Regel mehr konkrete Ergebnisse, als der ganze Budenzauber der eignungsdiagnostischen Beurteilungsindustrie.
Die Persönlichkeit eines Menschen, vorausgesetzt er macht bei den Auswertungen ehrlich mit, lässt sich ansatzweise gut in ihrer Grundausstattung interpretieren und für die Verarbeitung von Einschätzungen einigermassen seriös nutzen. Allerdings ist es so eine Sache, wenn man sich nur auf eine Vorgehensweise ausrichtet. Die Aussagekraft erhöht sich markant, wenn das Anwendungsinstrumentarium wie folgt ausgeweitet wird:
Kombination von verschiedenen Instrumenten als wesentlicher Bestandteil der Forschung
Zu einem wesentlichen Bestandteil der Forschung im Hinblick auf die Personalauswahl ist daher dann auch die Kombination von verschiedenen Instrumenten geworden. Gerade was die Vorhersage berufsbezogener Leistungen angeht, können Sie diesbezüglich grundsätzlich von einer explizit hohen Validität ausgehen. Die diesbezüglich besten Ergebnisse lassen sich dabei durch die Kombination von Intelligenz- und Integritätstests erzielen. Laut den involvierten Forschern und themenspezifischen Studien lassen sich immerhin über 60 Prozent der zu erwartenden Leistung eines Bewerbers durch den Einsatz respektive durch die kombinierten Resultate beider Instrumente prognostizieren. Dies ist ein Prozentsatz, der bei der Personalauswahl einen entscheidenden Faktor darstellen kann. Noch mehr positive Brisanz erhält dieses Forschungsergebnis dadurch, dass eine weitere Kombination aus zwei verschiedenen Testverfahren ebenfalls eine Leistungsprognose erlaubt, deren Validität knapp 58 Prozent beträgt. Denn explizite Forschungen haben ergeben, dass auch eine Kombination aus Intelligenztest und einem gut strukturierten Interview für die Eignungsdiagnostik bzw. die Leistungsprognose einen wesentlichen Faktor darstellt (Quelle: www.peats.de)
Sich nur auf eine eignungsdiagnostische Software abzustützen ist in vielen Unternehmen Alltag. Schliesslich kosten Testbatterien Geld. Wird jedoch ein Erkennungsverfahren mit einem anderen noch ergänzt, sozusagen als maschinendiagnostische Zweitmeinung oder Auffangnetz für interpretatorische Abstürze, um die berufsbezogenen, spezifischen Anforderungen für die kommenden Aufgaben tiefer abklären zu können, wird die Erkenntnisschärfe besser.
Sind die Ergebnisse in Ihren Schlussfolgerungen ähnlich bis deckungsgleich, dann kann man davon ausgehen, dass die Resultate als valide bezeichnet werden dürfen. Gehen diese jedoch in ihren Grundannahmen stark auseinander, dann lohnt es sich auf jeden Fall, die Sache näher zu prüfen. Ansonsten läuft man Gefahr, dass die Rekrutierungsbemühungen in eine Richtung laufen, die eindeutig falsch ist.
Die softwaregestützte Eignungsdiagnostik ist ein Anwendungsinstrument, das wertvolle Erkenntnisse liefert. Darüber gibt es an dieser Stelle ganz klar ausgedrückt keinen Zweifel. Sie muss jedoch von kompetenten Fachpersonen begleitet werden, die über eine gute Ausbildung verfügen und widersprüchliche Aussagen so entzerren können, damit die Wertigkeit der Aussagen erhalten bleibt und der Rekrutierungsprozess allen Anspruchsgruppen gerecht wird. Ansonsten lässt man lieber die Finger davon und greift auf das Bewährte zu.
Andere Anbieter rüsten inzwischen technisch auf und überlegen sich wie solche Ungereimtheiten der systemischen Überlistung der zu Prüfenden überwunden werden können. Das Gesicht.
Gesichtsmerkmale können angeblich auf den Charakter und die Wertemuster eines Menschen schliessen. Das erinnert uns fatal an andere Zeiten, als die Gesichtstopografie der Menschen als Richtwert diente, um ideologische Ziel bedienen zu können. Die nach wie vor erschütternden Kosequenzen daraus sind hinlänglich bekannt. Die falschen Gesichtszüge konnten schnell die Ursache für späteres, persönliches Unglück sein.
Die maschinellen ‚Gesichtsleser‘ nehmen inzwischen weltweit dort überhand, wo die rechtliche Ausgestaltung der Menschenrechte autokratisch bestimmt ist. Die permanente Überwachung von Menschen im öffentlichen Raum wird in vielen Staaten zum Standard. Das dient der Sicherheit, der Bekämpfung von Terrorismus und auch der Unterdrückung der Menschen. Diese Softwareanwendungen werden von Jahr zu Jahr schneller und unheimlich effizient. In Echtzeit werden Gesichter erfasst, mit Datenbanken abgeglichen und auf kritische Einträge überprüft. Die Geschwindigkeit ist verblüffend wie auch beängstigend.
Diese Erkenntnisentwicklung der Softwareherstellung wird auch immer mehr die Rekrutierung beeinflussen. Menschen werden bildtechnisch erfasst und die Gesichtszüge gelesen. Das Ergebnis liegt in Sekunden vor. Die Charakterzüge des Menschen sind in Sekunden ausgewertet. Der Rekrutierungsaufwand reduziert sich auf ein Nichts.
Schön wär’s. Dann könnten die Rekrutierungsabteilungen ihren Krempel zusammen packen und nach Hause gehen. Der ‚Gesichtsleser‘ erledigt den Job der Selektion. Auf Knopfdruck. Leider bleibt auch da die Wissenschaftlichkeit auf der Strecke und der Missbrauch ist nicht weit. Vielleicht wird dann die Vergabe einer Hypothek, das Ausstellen einer Heiratsurkunde oder das Eröffnen eines Bankkontos nur noch möglich sein, wenn der ‚Gesichtsleseautomat‘ bestätigt, dass der Mensch unbedenklich ist und den definierten Normen entspricht. Wer macht eigentlich die Normen?
Hier noch eine Meinung dazu:
Patrick Boss, Personalselektionsexperte und Professor am Institut für Angewandte Psychologie an der ZHAW, findet es völlig unzulässig, die Psycho-Physiognomik in der Personalselektion einzusetzen. Schliesslich gebe es keinerlei wissenschaftliche Belege für deren Aussagekraft. «Wir hören aber immer wieder von Fällen, wo in der Personalselektion unwissenschaftliche Methoden eingesetzt werden. Und esoterisch angehauchte Praktiken werden wohl auch in Zukunft ihre Anhänger finden.» (Quelle: www.sonntagszeitung.ch)
Die Vielfalt der Anwendungsmethodik bei der Personalselektion macht die Sache erst erfolgreich und treffsicher. Sich nur auf eine Vorgehensweise abzustützen ist nie klug. Gerade dann, wenn die Personalabteilung sich immer mehr rechtfertigen muss, ob sie wirtschaftlich arbeitet. Mehr dazu hier: ‚Wenn Gesichter Karriere machen‘.