Weiche Themen, harter Aufprall: Wieso Personalabteilungen in der Chefetage unsichtbar bleiben.
In vielen Unternehmen agieren Personalabteilungen immer noch in der zweiten Reihe – sie setzen um, was andere entscheiden, und erfüllen ihre Rolle eher wie eine Serviceabteilung als ein strategischer Treiber.
Doch während Finanzen, Marketing und Vertrieb Einfluss nehmen und Unternehmensziele prägen, bleibt das HR oft stumm. Dabei steht viel auf dem Spiel: Die Zukunft von Unternehmen könnte durch ein besser integriertes HR wesentlich gesichert werden. Doch was steckt hinter dieser Marginalisierung, und welche Veränderungen wären nötig, um HR als vollwertigen Partner der Führungsetage zu etablieren?
Ein Blick auf die globale Szene: HR als Servicestelle ohne Gewicht?
Die Situation ist nicht exklusiv für die Schweiz: Weltweit beobachten Fachleute, dass das HR oft als rein verwaltende Abteilung gesehen wird. In Ländern wie den USA, Deutschland oder Japan bleibt HR bei strategischen Entscheidungen meist aussen vor, während die klassischen Geschäftszweige dominieren. Finanz- und Verkaufsabteilungen haben klare, gewinnorientierte KPIs und dürfen mitentscheiden, während HR oft als eine ‘weiche’ Abteilung betrachtet wird, deren Leistungen schwieriger zu messen und quantifizieren sind.
Trotz aller Initiativen und Rhetorik über die Wichtigkeit der Personalentwicklung bleibt das HR so häufig ein Blinddarm, der bestenfalls unterstützend wirkt. Ist er entzündet wird er einfach rausgeschnitten. Der Firmenkörper lebt auch ohne Blinddarm weiter!
Studien zeigen, dass HR-Führungskräfte oft über ‘Soft Skills’ sprechen – Kompetenzen wie Agilität, Lernfähigkeit und Anpassungsbereitschaft, die als essenziell für die Zukunft gelten. Doch wenn es darum geht, diese in die Rekrutierung und das Bewerbermanagement zu integrieren, dominieren weiterhin traditionelle Auswahlkriterien. Lebensläufe ohne ‘Schleifen’, glatte berufliche Werdegänge und bekannte Abschlüsse sind entscheidender als Fähigkeiten, die in der modernen, dynamischen Arbeitswelt wichtiger werden.
Dass das HR diesen Widerspruch kaum auflösen kann, liegt unter anderem an seiner strategisch schwachen Position im Unternehmensaufbau.
Potenziale einer einflussreichen HR-Abteilung – Mehrwert für Unternehmen
Was könnte das HR bewirken, das aktiv strategische Ziele mitdefiniert und nicht nur administrativ rekrutiert? Die Vorteile liegen auf der Hand:
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Vorausschauende Personalentwicklung und Innovationskraft: Eine stärkere HR-Stimme könnte Unternehmen befähigen, ihre Mitarbeitenden gezielter auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten. Dazu gehört, Kompetenzen wie kritisches Denken, Lernfähigkeit, digitale Kompetenz und Anpassungsfähigkeit systematisch zu fördern. Studien belegen, dass Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden konsequent entwickeln, resilienter und innovativer agieren können.
- Förderung kultureller Vielfalt und Mitarbeitermotivation: Ein zentral eingebundenes HR könnte eine Kultur der Vielfalt schaffen, die nicht nur attraktiv für Talente ist, sondern auch den Unternehmenserfolg steigert. Kulturelle Vielfalt im Unternehmen ist kein Selbstzweck – sie führt zu einem besseren Verständnis unterschiedlicher Märkte und schafft kreativere Lösungsansätze.
- Gesteigerte Effizienz durch Offenheit für Quereinsteiger:innen: Ein strategisch positioniertes HR könnte Brücken für Bewerbende bauen, deren Lebensläufe nicht den klassischen Erwartungen entsprechen. Unternehmen würden dadurch Zugang zu einem grösseren Pool an Talenten erhalten, anstatt durch konservative Auswahlkriterien potentielle, qualifizierte Bewerbende auszuschliessen.
- Reduktion von Fachkräftemangel durch gezielte Weiterentwicklung: Die aktuellen Fachkräftemangelzahlen machen deutlich, dass die Rekrutierung allein das Problem nicht lösen kann. Ein stärkeres HR könnte die Personalentwicklung langfristig planen, so dass sich Unternehmen intern besser aufstellen können, anstatt teure, externe Rekrutierungen zu fokussieren.
Kritische Punkte: Schattenseiten eines machtvolleren HR
Nicht jeder sieht eine verstärkte HR-Rolle positiv. Kritiker:innen argumentieren, dass die Verantwortlichen im HR durch ihre kulturellen und sozialen Agenden Unternehmensziele verwässern könnten. Einige Geschäftsleitungen befürchten, dass das HR den Fokus auf ‘weiche’ Werte legt und dabei die rein wirtschaftliche Perspektive vernachlässigen könnte. Dazu kommt die Angst, dass durch einen zu grossen HR-Einfluss Bewerbungsprozesse gelockert werden und daraus weniger Effizienz in der Personalbesetzung resultiert. Eine stärkere HR-Stimme könnte zudem zu internen Machtkämpfen führen, die Ressourcen binden und das Unternehmensklima belasten.
Realität vs. Rhetorik: Das Dilemma der ‘Future Skills’
‘Future Skills’ sind das Modewort in Stellenausschreibungen und auf HR-Konferenzen – Fähigkeiten, die Mitarbeitende in Zukunft benötigen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch die Realität sieht anders aus. Obwohl viele Unternehmen ‘Soft Skills’ wie Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft betonen, zeigen Umfragen, dass im Auswahlprozess traditionelle Werte und Kriterien dominieren. Ein geradliniger, ‘sauberer’ Lebenslauf, das richtige Netzwerk und renommierte Arbeitgebende zählen oft mehr als zukunftsorientierte Kompetenzen. Insbesondere Quereinsteiger:innen oder Bewerbende mit unkonventionellen Hintergründen stehen damit vor einer Hürde: Ihre vielfältigen Kompetenzen finden wenig Anerkennung, während konservative Ansichten den Status quo aufrechterhalten.
‘Future Skills’: Die Fähigkeiten der Zukunft
‘Future Skills’ sind Kompetenzen, die Menschen brauchen, um in einer sich schnell verändernden Welt erfolgreich zu bestehen. Sie umfassen nicht nur technisches Wissen, sondern auch Fähigkeiten wie kritisches Denken, Kreativität, Lernbereitschaft und soziale Intelligenz.
Während die Arbeitswelt immer stärker von Digitalisierung und Automatisierung geprägt wird, gewinnen diese Fähigkeiten zunehmend an Bedeutung, da sie schwer durch Maschinen ersetzt werden können. ‘Future Skills’ fördern die Anpassungsfähigkeit, also die Fähigkeit, flexibel auf neue Situationen und Herausforderungen zu reagieren.
Digitale Kompetenz, zum Beispiel, ist ein zentraler ‘Future Skill’, da die meisten Berufe digitale Werkzeuge und Wissen voraussetzen. Dazu kommen emotionale und interkulturelle Kompetenzen, die helfen, in globalen Teams effektiv zu arbeiten und sich in diverse Arbeitsumfelder einzufügen. Bildungseinrichtungen und Unternehmen arbeiten gezielt daran, ‘Future Skills’ zu fördern und in die Ausbildungsprogramme einzubinden, um Menschen auf die Jobs der Zukunft vorzubereiten. Zusammengefasst: Future Skills sind die Werkzeuge, die Menschen für eine dynamische, komplexe und zunehmend digitalisierte Zukunft fit machen.
Dieser Widerspruch zeigt sich nicht nur in der Auswahl der Bewerbenden, sondern auch bei internen Entwicklungschancen. Quereinsteiger:innen bleiben oft in ihren Einstiegspositionen gefangen, weil ihre ‘Nicht-Standard’-Karrieren als Karrierehindernis interpretiert werden. Unternehmen investieren Milliarden in Mitarbeiterschulungen und Entwicklung, aber ohne eine HR-Abteilung, die diese Initiativen strategisch steuert, bleibt das Potenzial oft unausgeschöpft und wertlos.
Illegale Anfragen und ‘informelle’ Nachforschungen
Ein weiteres Problem zeigt sich in der Praxis der ‘informellen Nachforschung’ – einer Methode, bei der Unternehmen nicht nur die angegebenen Referenzenpersonen kontaktieren, sondern auch private Kontakte nutzen, um ein Bild von Bewerbenden zu gewinnen. Diese Praxis verstösst häufig grob gegen rechtliche Bestimmungen und untergräbt das Vertrauen vieler Bewerbenden in den angebotenen Prozess. Eine stärkere HR-Rolle könnte die ethischen Standards in der Rekrutierung verbessern und eine faire, transparente Bewertung sicherstellen. Das HR hat oft nicht die Handhabe, solche Praktiken unterbinden zu können.
Was muss sich ändern, um HR zu stärken?
Um das Potenzial einer strategisch ausgerichteten Personalabteilung voll zu entfalten, bedarf es einer grundlegenden strukturellen Veränderung. Unternehmen sollten das HR nicht nur als operativen Unterstützungszweig, sondern als gleichwertigen, strategischen Partner betrachten. Dazu gehört:
- Kulturwandel: Eine moderne Unternehmenskultur, die das HR als wertschöpfenden Faktor sieht, ist der Schlüssel. Statt lediglich Lebensläufe zu sichten und Vorstellungsgespräche zu koordinieren, sollte HR mit in die langfristige Planung und Entscheidungsfindung eingebunden werden.
- Erweiterung der Metriken: Der Erfolg von HR sollte nicht allein durch Fluktuationsraten oder Einstellungszahlen gemessen werden. Vielmehr sollten neue Kennzahlen entwickelt werden, die den Wert von Mitarbeitermotivation, Entwicklung und langfristiger Bindung erfassen.
- Schulung und Ressourcen: HR-Teams müssen kontinuierlich weitergebildet und befähigt werden, zukunftsorientierte Aufgaben wie die Förderung der Diversity-Kultur und die Integration innovativer Bewerbungsprozesse zu bewältigen. Auch technische und datengestützte Tools zur Talentauswahl könnten dem HR einen stärkeren Rückhalt geben und das Vertrauen in seine Kompetenzen stärken.
- Aufhebung veralteter Rekrutierungsstandards: Unternehmen müssen erkennen, dass der Fokus auf klassische, geradlinige Karrieren hinderlich ist. Quereinsteiger:innen, vielseitig Erfahrene und Bewerbende mit interdisziplinären Kenntnissen bringen oft frischen Wind und innovative Ansätze – ein Umdenken, das bereits in der Rekrutierung beginnen muss.
Durch die aktive Einbindung einer strategisch aufgestellten HR-Abteilung könnten Unternehmen besser auf aktuelle Marktveränderungen und künftige Herausforderungen reagieren. Die Innovationsfähigkeit und Anpassungskompetenz eines Unternehmens hängen zu einem grossen Teil davon ab, wie gut das HR darin geschult ist, Menschen mit den richtigen ‘Future Skills’ auszuwählen und zu fördern. Nur dann kann eine Personalabteilung einen echten, langfristigen Wert schaffen und ihre Rolle als blosse Serviceabteilung hinter sich lassen.