Dez 5

DARVO: Die heimliche Waffe der Manipulator:innen in der Arbeitswelt.

Author: PersonalRadar

In einer Arbeitswelt, in der Fehler oder Nachlässigkeiten oft als Schwäche ausgelegt werden, haben einige Menschen eine perfide Abwehrstrategie entwickelt, um jeglicher Verantwortung zu entgehen: DARVO. Diese Abkürzung oder Akronym steht für ‘Deny, Attack, and Reverse Victim and Offender’ – auf Deutsch: Leugnen, Angreifen und die Rollen von Opfer und Täter umkehren.

(Bildquelle: www.freepik.com)

Die amerikanische Psychologin Jennifer Freyd hat diesen Begriff geprägt, um eine perfide Manipulationstaktik zu beschreiben, die erschreckend häufig angewandt wird. DARVO ist wie ein gut einstudierter Tanz in drei Schritten:

  1. Zunächst leugnet der oder die Beschuldigte vehement jegliches Fehlverhalten.
  2. Wenn das nicht ausreicht, geht er oder sie zum Angriff über und
  3. versucht, die Glaubwürdigkeit der anderen Seite fies zu untergraben. Schliesslich, in einer bemerkenswerten Verdrehung der Realität, stellt sich der Täter oder die Täterin selbst als das eigentliche unschuldige Opfer dar.

Diese Vorgehenstaktik ist besonders wirksam und zerstörerisch, wenn ein klares Machtgefälle zwischen den Beteiligten besteht. Ob es sich um Vorgesetzte handelt, die ihre Mitarbeitenden maliziös schikanieren, oder um Eltern, die ihre Kinder manipulieren – DARVO funktioniert immer zuverlässig, weil diese maligne Verhaltenstaktik die unmittelbare Wahrnehmung der Realität verzerrt und starke Zweifel sät, die die Gegenseite spaltet, schwächt und in ihrem Selbstverständnis anzweifelt.

Der Wolf im Schafspelz – DARVO im Berufsalltag

Im Arbeitsumfeld kann DARVO verheerende und sehr teure Auswirkungen haben. Nachfolgend drei konkrete Beispiele aus dem Berufsleben wie sie jeden Tag geschehen, die zeigen, wie diese Taktik im Berufsalltag eingesetzt wird:

  1. Der übergriffige Chef: eine junge Mitarbeiterin beschuldigt ihren Vorgesetzten der sexuellen Belästigung und massiver psychologischer Übergriffe. Er reagiert mit der klassischem DARVO-Methode: ‘Das ist völlig aus der Luft gegriffen! Sie ist bekannt dafür, Geschichten zu erfinden. Sie flirtet ständig mit allen im Büro und konnte einfach nicht akzeptieren, dass ich kein Interesse an ihr habe. Jetzt will sie meine Karriere und mein gutes Familienleben rücksichtslos zerstören. Ich bin doch hier das eigentliche Opfer! Erkennt das niemand?’
  2. Die Projektleiterin, die Fehler nicht eingestehen kann: Ein wichtiges und teures Projekt ist krachend gescheitert, und alle Augen richten sich auf die Projektleiterin. Statt Verantwortung zu übernehmen, wendet sie einfach sehr berechnend DARVO an: ‘Ich habe alles richtig gemacht. Das Team hat meine Anweisungen nicht befolgt und wichtige Deadlines verpasst. Jetzt wollen sie mir die Schuld in die Schuhe schieben, um von ihrer eigenen Inkompetenz abzulenken. Ich werde hier einfach zum Sündenbock gemacht!’

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  3. Die Kollegin, die Mobbing betreibt: Ein Mitarbeiterin wird beschuldigt, ihre Teamkollegin systematisch zu mobben. Konfrontiert mit den Vorwürfen, greift sie zu hemmungslos und ohne zu zögern zu DARVO: ‘Ich habe nie jemanden gemobbt. Sie ist überempfindlich und kann einfach keine Kritik vertragen. Sie versucht, mich bei den Kolleg:innen schlecht zu machen, weil sie total neidisch auf meinen Erfolg ist. Ich fühle mich hier als Opfer einer orchestrierten und rücksichtslosen Rufmordkampagne, die meine Karriere zerstören soll!’

In all diesen Fällen sehen wir immer wieder das gleiche Muster:

  • Leugnen des Fehlverhaltens
  • Angriff auf das Opfer
  • Umkehrung der Rollen, bei der sich der Täter oder die Täterin als das eigentliche Opfer darstellt

Die Macht der Manipulation – Warum DARVO so effektiv ist

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DARVO ist nicht nur eine simple Ausrede, sondern eine ausgeklügelte psychologische Taktik. Sie funktioniert bestens, weil sie mehrere menschliche Schwächen gleichzeitig ausnutzt.

  • Zum einen spielt sie mit unserem Wunsch nach einer gerechten Welt. Wir wollen glauben, dass gute Menschen nicht böse Dinge tun. Wenn also jemand, den wir respektieren oder dem wir vertrauen, beschuldigt wird, sind wir geneigt, nach alternativen Erklärungen zu suchen.
  • Zum anderen nutzt DARVO unsere Tendenz aus, Konflikte zu vermeiden. Wenn der Beschuldigte aggressiv reagiert und das Opfer angreift, fühlen sich viele Aussenstehende unwohl und ziehen sich zurück, anstatt einzugreifen.
  • Schliesslich spielt DARVO mit unserer Unsicherheit. Indem Täter:innen sich selbst als Opfer darstellen, sähen sie Zweifel an der ursprünglichen Anschuldigung. Plötzlich wird man mit zwei widersprüchlichen Geschichten konfrontiert und weiss nicht mehr, wem man nun glauben soll.

Die unsichtbaren Narben und die psychologischen Folgen von DARVO

Die Auswirkungen von DARVO auf die Opfer sind absolut verheerend. Sie verwüsten deren Seele und zerstören nachhaltig das Selbstwertgefühl. Diese beginnen oft, an ihrer eigenen Wahrnehmung zu zweifeln und suchen die Schuld bei sich selbst wie folgt:

  • ‘Vielleicht habe ich alles nur falsch verstanden? Es kann doch nicht so schlimm sein’.
  • ‘Bin ich in Wahrheit nicht einfach nur ein wenig überempfindlich?’
  • ‘Habe ich das alles nur erfunden? Ist alles in Ordnung mit mir?’

Solche Gedanken können die Opfer in einen starken Strudel der Selbstzweifel stürzen. Besonders tragisch ist die Situation für Kinder, die DARVO durch ihre Eltern erfahren. Sätze wie ‘Wenn du dich besser benehmen würdest, müsste ich dich nicht anschreien’ oder ‘Weisst du, wie traurig du die Mama machst, weil du nie zuhörst?’ sind klassische DARVO-Taktiken. Sie hinterlassen keine blauen Flecken, aber tiefe seelische Wunden mit hässlicher Narbenbildung fürs Leben. Studien zeigen, dass Kinder, die häufig solchen Schuldzuweisungen ausgesetzt sind, ein geringeres Selbstwertgefühl entwickeln und anfälliger für Depressionen sind. Als Erwachsene neigen sie dazu, die Verantwortung für das Fehlverhalten anderer auf sich zu nehmen, was sie wiederum in erschreckender Weise anfälliger für weitere Manipulation macht.

Wie man die Taktik durchschaut und sich schützt

Wer DARVO kennt, kann sich besser davor schützen. Hier einige Strategien, um die Manipulation zu durchschauen und sich zu wehren:

  1. Bleiben Sie sachlich und lassen Sie sich nicht provozieren. DARVO-Anwender:innen hoffen oft, dass Sie schnell emotional reagieren, um Sie dann kühl wie auch berechnend als hysterisch, kopflos, unkontrolliert und überempfindlich darzustellen.
  2. Dokumentieren Sie Vorfälle. Schreiben Sie akribisch auf, was passiert ist, wann es passiert ist und wer dabei war. Dies hilft nicht nur, Ihre eigene Wahrnehmung zu stärken, sondern kann später hilfreich auch als Beweismittel dienen.
  3. Suchen Sie sich Verbündete. Sprechen Sie mit vertrauenswürdigen Kolleg:innen oder Freunden über die Situation. Oft erkennen Aussenstehende Muster viel besser wie auch schärfer, die man selbst leicht übersieht.
  4. Benennen Sie die Taktik beim Namen. Manchmal reicht es schon, DARVO beim Namen zu nennen, um seine Wirkung zu brechen. ‘Das, was Sie gerade tun, nennt sich DARVO. Es ist eine Manipulationstaktik, und ich lasse mich davon nicht beirren.’
  5. Fokussieren Sie sich konsequent auf die Fakten und das Nachprüfbare. Lassen Sie sich keineswegs auf emotionale Diskussionen ein, sondern bleiben Sie bei den konkreten Vorfällen und Handlungen.

Der Blick in den Spiegel – DARVO in uns selbst erkennen

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So erschreckend DARVO auch sein mag, es ist wichtig zu verstehen, dass wir alle in Stresssituationen zu ähnlichen Verhaltensweisen neigen können. Vielleicht haben Sie sich selbst schon einmal dabei ertappt, wie Sie einen Fehler beinhart und ohne zu zögern geleugnet oder die Schuld machiavellistisch auf jemand anderen geschoben haben. Der erste Schritt zur Veränderung ist die Selbstreflexion. Fragen Sie sich in schwierigen Situationen:

  • Versuche ich gerade, die Verantwortung von mir zu schieben?
  • Greife ich die Person an, die mich kritisiert, anstatt mich mit der Kritik reflektiert auseinanderzusetzen?
  • Stelle ich mich einfach als Opfer dar, obwohl ich eigentlich im klar Unrecht bin?

Wenn Sie diese Tendenzen bei sich selbst erkennen, atmen Sie tief durch. Es ist menschlich, Fehler zu machen. Der wahre Test unseres Charakters liegt darin, wie wir damit umgehen. Haben Sie den Mut, Verantwortung zu übernehmen und sich zu entschuldigen. Es mag im ersten Moment unangenehm sein, aber langfristig stärkt es Ihre Beziehungen und Ihr Selbstwertgefühl.

Die DARVO-freie Zone – Vision einer gesunden Kommunikationskultur

Stellen Sie sich eine Arbeitswelt vor, in der DARVO keinen Platz hat. Eine Welt, in der Fehler als Chancen zum Lernen gesehen werden, in der offene und ehrliche Kommunikation die Norm ist und in der Verantwortung zu übernehmen als Zeichen von Stärke gilt, nicht von Schwäche. Um eine solche Kultur zu schaffen, braucht es Engagement auf allen Ebenen:

  • Führungskräfte müssen mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie offen zu ihren Fehlern stehen und eine Atmosphäre schaffen, in der konstruktive Kritik willkommen ist.
  • Personalabteilungen sollten Schulungen anbieten, um Mitarbeiter für DARVO und andere Manipulationstaktiken zu sensibilisieren.
  • Jeder Einzelne kann dazu beitragen, indem er achtsam kommuniziert und den Mut hat, respektvoll Missstände anzusprechen.

Was lernen wir daraus?

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DARVO zu erkennen und zu bekämpfen ist nicht nur eine persönliche, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Je mehr Menschen diese Manipulationstaktik durchschauen, desto schwieriger wird es für Täter:innen, damit durchzukommen. Für Unternehmen bedeutet dies:

  1. Implementierung klarer Richtlinien für den Umgang mit Beschwerden und Konflikten.
  2. Regelmässige Schulungen zu Themen wie Kommunikation, Konfliktmanagement und ethisches Verhalten.
  3. Schaffung einer Kultur, in der das Eingestehen von Fehlern und das Lernen daraus wertgeschätzt wird.

Für den Einzelnen heisst es:

  1. Entwicklung von Selbstreflexion und emotionaler Intelligenz.
  2. Mut, für sich und andere einzustehen, auch wenn es unbequem ist.
  3. Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen und persönlich zu wachsen.

DARVO zu entlarven und zu bekämpfen ist ein wichtiger Schritt hin zu einer ehrlicheren, respektvolleren und letztlich produktiveren Arbeits- und Lebenswelt. Es ist ein Weg, der Mut und Ausdauer erfordert, aber die Belohnung – gesündere Beziehungen, ein stärkeres Selbstwertgefühl und eine integre Persönlichkeit – ist es allemal wert.

Indem DARVO konsequent der Nährboden entzogen wird, schaffen Unternehmen Raum für echte Verantwortung, gegenseitigen Respekt und konstruktive Konfliktlösungen.

Das führt dazu, dass die Personalfluktuation stark abnimmt, die allgemeine Zufriedenheit steigt und der gegenseitige Respekt Norm ist.