Dez 13

Es braucht mehr Mut: Die meisten suchen keine Talente, sondern langweilige Kopien.

Author: PersonalRadar

Die Schweizer Rekrutierungspraxis könnte glatt aus einem Lehrbuch der 1990er stammen: Lebensläufe, die wie Hochglanzbroschüren aussehen sollen, ewig lange Bewerbungsschritte und ein beinahe religiöser Glaube an Formalitäten.

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Während der Rest der Welt agiler, offener und digitaler wird, zelebriert die Schweiz ihren Konservatismus. Es ist kein Wunder, dass wir im globalen Wettbewerb um Talente zurückfallen – es ist ein hausgemachtes Problem.

Die Frage ist längst nicht mehr, warum der Fachkräftemangel so gravierend ist. Die Frage ist: Warum schweizerische Unternehmen so wenig dagegen tun. Während Politiker:innen und Wirtschaftsleute den Fachkräftemangel wie eine gottgegebene Naturkatastrophe behandeln, weigern sich die Firmen, ihre eigenen, oft absurden Regeln zu überdenken. Quereinsteiger:innen? Unerwünscht. Lebensläufe mit Lücken? Verdächtig. Kandidat:innen, die anders denken oder handeln? Zu riskant. Diese Haltung grenzt nicht nur an Arroganz – sie ist eine Strategie des Scheiterns.

Fachkräftemangel oder hausgemachter Stillstand?

Viele Firmen klagen über zu wenig Fachkräfte, doch die Wahrheit ist: Der Arbeitsmarkt bietet genug Talente – nur nicht im perfekten Format, das Schweizer Unternehmen erwarten. Alles muss passen: dieselbe Branche, dieselbe Funktion, dieselben Aufgaben. Es ist, als würden sie eine Kopie des vorherigen Mitarbeiters suchen, anstatt offen für Neues zu sein.

Dieser superdoofe, eindimensionale wie auch einfältige ‘Zero-Gap’-Ansatz sorgt nicht nur für eine stagnierende Arbeitswelt, sondern macht die Schweiz langfristig weniger wettbewerbsfähig.

Und dann ist da die scheinheilige Diskussion über ‘Future Skills’. Ja, alle reden darüber, wie wichtig Anpassungsfähigkeit, Kreativität und Lernbereitschaft sind. Aber in der Realität spielen diese Eigenschaften bei der Rekrutierung fast keine Rolle. Schweizer Firmen suchen keine Visionär:innen oder Problemlöser:innen – sie suchen brave ‘Checklisten-Abhaker:innen’. Es ist kein Wunder, dass sie nicht fündig werden.

KI: Die verpasste Revolution

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Die digitale Transformation rollt unaufhaltsam voran – nur nicht in der Schweizer Rekrutierung. Während weltweit Unternehmen KI einsetzen, um Bewerbungen effizienter zu sichten, Talente besser zu matchen und Vorurteile zu minimieren, herrscht hierzulande Skepsis. Man fürchtet gravierende Datenschutzprobleme, kostspielige Fehlentscheidungen oder gar die schleichende, zerstörrerische ‘Entmenschlichung’ des Prozesses.

Hand aufs Herz und seien wir doch ehrlich: Wie menschlich ist ein Verfahren, das Menschen auf Basis eines Papierdokuments aussortiert?

Schlimmer noch, die Angst vor KI zeigt auch die Doppelmoral in vielen HR-Abteilungen. Sie beklagen sich über den wachsenden Aufwand durch die Globalisierung und die Digitalisierung, gleichzeitig verweigern sie die Tools, die genau diese Probleme lösen könnten. Nur ein Bruchteil der Schweizer Firmen nutzen KI ernsthaft. Der Rest vertraut weiter auf Bauchgefühl, das nicht selten von extrem dummen Vorurteilen geprägt ist.

Wo bleibt der Mut?

Die Schweiz ist nicht nur ein Innovationsland – sie hat diesen Anspruch auch auf ihre Fahne geschrieben. Doch in der Rekrutierung bleibt von diesem Selbstbild nichts übrig. Hier herrscht eine lähmende Angst vor Veränderung. KI wird als Bedrohung wahrgenommen, anstatt die Chancen zu sehen. Quereinsteiger:innen werden als grosses Risiko abgestempelt, anstatt als Bereicherung. Und während die Welt sich weiterdreht, stehen viele Unternehmen still – im festen Glauben, dass der alte Weg der sicherste ist.

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Wo bleibt der Mut, Bewerbungen anders zu denken? Warum nutzen wir nicht LinkedIn, Xing, Social Media und den ganzen anderen arbeitserleichterten Klimbim für die Such- und Findungsprozesse, um direkt mit unerwarteten Talenten in Kontakt zu treten?

Warum trauen wir uns nicht, Kandidat:innen nach ihrer Zukunftsvision zu bewerten, statt nach ihrer Vergangenheit?

Stattdessen klammern sich Schweizer Unternehmen an formale Dokumente und althergebrachte Methoden – und scheitern dabei, neue Impulse zu setzen.

Die stillen Kosten des Zögerns

Was kostet dieser Stillstand? Sehr, sehr viel. Junge Talente, die Innovation und Flexibilität mitbringen, wenden sich ab. Warum sollten sie in einem Land bleiben, das ihnen keine Chancen bietet? Fachkräfte aus dem Ausland, die unsere Wirtschaft dringend braucht, werden durch endlose Prozesse und starre Anforderungen abgeschreckt. Und die Unternehmen selbst? Sie verlieren nicht nur den Anschluss, sondern auch die Möglichkeit, in einer sich wandelnden Arbeitswelt zu überleben.

Es wird oft gesagt, dass die Schweiz ein Ort der Stabilität ist. Doch in der heutigen Zeit ist Stillstand keine Stabilität – es ist Rückschritt. Die globale Arbeitswelt bewegt sich schneller, und wer nicht Schritt hält, bleibt auf der Strecke.

Ein Weckruf für Schweizer Unternehmen

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Die Zeit des Abwartens ist vorbei. Schweizer Unternehmen müssen aufwachen und sich vermehrt der Realität stellen. Die Welt wird nicht warten. Es braucht nicht nur mehr Mut zur Veränderung, sondern auch eine grundsätzliche Neuausrichtung der Rekrutierungsstrategien.

KI sollte nicht als Feind, sondern als Partnerin gesehen werden. Quereinsteigende sind keine Gefahr, sondern eine Chance. Und Lebensläufe sollten nicht länger das Mass aller Dinge sein.

Die Frage ist nicht mehr, ob wir in diesem Land handeln müssen. Die Frage ist, wie lange wir uns diesen Stillstand noch leisten können und wollen. Der Fachkräftemangel ist keine Naturkatastrophe – er ist eine Konsequenz der eigenen Taten und Entscheidungen.

Whitepaper – Eine Studie über die Rekrutierungspraxis in der Schweiz im Kontext von zunehmenden Fachkräftemangel und KI – von – von Rundstedt (PDF, 17 Seiten, auf Deutsch)