Krankgeschrieben oder doch nur blau gemacht? Wenn Fehlzeiten zur Vertrauensfrage werden.
Die Zahl der krankheitsbedingten Absenzen in der Schweiz steigt seit Jahren unaufhaltsam. Arbeitgebende und Versicherungen schlagen Alarm. Besonders psychische Erkrankungen haben in den letzten Jahren stark zugenommen.
Überlastung, schlechte Arbeitsbedingungen und toxische Unternehmenskulturen sind oft genannte Gründe. Doch es gibt eine weitere, oft gemiedene Erklärung: Krankmeldungen, die nicht immer auf echten gesundheitlichen Problemen beruhen. Während viele Fehlzeiten absolut berechtigt sind, steigt der Verdacht, dass einige Angestellte ihre Krankheit nur vortäuschen, um sich eine Auszeit zu erschleichen.
Die Konsequenzen dieser steigenden Absenzen sind weitreichend. Unternehmen müssen sich mit zunehmenden Kosten für Lohnfortzahlungen auseinandersetzen, die Arbeitslast für verbleibende Kolleg:innen steigt, und der betriebliche Ablauf wird gestört. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind enorm, besonders in kleinen und mittelständischen Unternehmen, die keine Kapazitäten haben, um kurzfristige Ausfälle zu kompensieren. Der steigende Krankenstand zwingt Arbeitgebende dazu, neue Kontrollmechanismen einzuführen, die jedoch wiederum den Vertrauensverlust zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmer:innen verstärken können.
Der Verdacht: Wenn sich Krankheitstage in die Ferien verlängern
Nicht jede Krankmeldung ist automatisch glaubwürdig. Viele Unternehmen beobachten Muster: Angestellte, die sich bevorzugt an Montagen oder Freitagen krankmelden, um das Wochenende zu verlängern. Andere lassen sich direkt nach einer Kündigung arbeitsunfähig schreiben, um Kündigungsschutzfristen auszunutzen. Solche Fälle sind nicht nur arbeitsrechtlich heikel, sondern sie zerstören auch das Vertrauensverhältnis zwischen den betroffenen Parteien.
Zudem gibt es Fälle, in denen Krankmeldungen mit Ferienanträgen korrelieren. Eine auffällige Häufung von Krankmeldungen direkt vor oder nach den Ferienzeiten deutet oft darauf hin, dass Mitarbeitende sich bewusst eine längere Auszeit erschleichen wollen.
Gerade bei psychischen Erkrankungen ist es schwer zu überprüfen, ob die Krankheit tatsächlich besteht oder ob sie nur vorgetäuscht wird. Arbeitgebende sind deshalb oft in einer Zwickmühle: Misstrauen kann sich negativ auf das Arbeitsklima auswirken, während blindes Vertrauen Missbrauch Tür und Tor öffnet.
Arztzeugnisse: Ein notwendiges Übel oder eine Einladung zum Missbrauch?
Ein Arztzeugnis gilt als formeller Beweis einer Arbeitsunfähigkeit. Doch in der Praxis sind Zweifel angebracht: Manche Atteste beruhen ausschliesslich auf den Angaben der Patient:innen. Untersuchungen entfallen oft oder sind nur oberflächlich. In einigen Fällen reicht eine einfache telefonische oder Video-Konsultation, um ein ärztliches Zeugnis ausgestellt zu bekommen.
Arbeitgebende stehen vor einem Dilemma: Einerseits müssen sie den ärztlichen Befund respektieren, andererseits häufen sich Fälle von Missbrauch. Ein Beispiel aus Deutschland zeigt, dass dort einige Gerichte bereits den Beweiswert von Arztzeugnissen infrage stellen. Der Grund: Gefälligkeitsatteste, Blanko-Zeugnisse und zweifelhafte Ferndiagnosen.
In der Schweiz ist das Problem ähnlich. Eine persönliche Konsultation ist nicht zwingend erforderlich, wodurch es für Arbeitnehmende relativ einfach wird, Symptome vorzutäuschen. Ärzt:innen stehen zudem in einem Spannungsverhältnis: Wenn sie zu streng urteilen, riskieren sie, Patient:innen zu verlieren. Dies führt dazu, dass immer wieder Gefälligkeitsatteste ausgestellt werden.
Für Arbeitgebende bedeutet dies, dass sie sich nicht allein auf das Arztzeugnis verlassen können, sondern weitere Indizien heranziehen müssen, um einen Betrug nachzuweisen. Sehr oft werden solche Angelegenheit an Vertrauensärzte:innen der Krankentaggeldversicherungen weitergeleitet, um eine sogenannte ‘second opinion’ zu erhalten.
In welchen Fällen ist Skepsis angebracht?
Nicht jedes Arztzeugnis hält einer genaueren Prüfung stand. Es gibt bestimmte Muster, die auf einen möglichen Missbrauch hindeuten:
- Das Arztzeugnis basiert ausschliesslich auf der Schilderung der Patient:innen, ohne objektive Untersuchung
- Die Krankmeldung erfolgt rückwirkend, besonders im Zusammenhang mit einer Kündigung oder einem Konflikt am Arbeitsplatz
- Das Attest ist um mehrere Wochen oder Monate zurückdatiert
- Die betroffene Person wechselt auffällig oft den Arzt oder die Ärztin
- Die Person weigert sich, sich von einem vertrauensärztlichen Dienst untersuchen zu lassen
In diesen Fällen können Arbeitgebende rechtliche Schritte einleiten oder die Lohnfortzahlung verweigern.
Ein weiteres Beispiel für Missbrauch sind widersprüchliche Arztzeugnisse: Ein Arzt oder eine Ärztin bescheinigt eine schwere Rückenverletzung, doch der Arbeitnehmer wird beim Tragen schwerer Gegenstände beobachtet. Solche Fälle haben bereits zu gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt, in denen das Arbeitsverhältnis aufgelöst wurde.
Freizeit trotz Krankheit? Was erlaubt ist und was nicht
Arbeitnehmende haben auch während einer Krankheit gewisse Freiheiten. Ein Spaziergang an der frischen Luft, leichte sportliche Aktivitäten oder ein Besuch im Hallenbad sind nicht automatisch verdächtig. Entscheidend ist, ob die Aktivität die Genesung fördert oder ihr entgegenwirkt. Wer mit einem ärztlich attestierten Rückenleiden Möbel schleppt oder trotz einem Knieproblem auf dem Dach arbeitet, setzt sich jedoch dem Verdacht aus, seine Krankheit nur vorzutäuschen.
Die Gerichte urteilen hier unterschiedlich. In einem Fall wurde eine fristlose Kündigung für ungültig erklärt, weil eine kranke Büroangestellte beim Einkaufen beobachtet wurde – obwohl ihr Arzt empfohlen hatte, an die frische Luft zu gehen.
Rechtsfolgen einer vorgetäuschten Krankheit
Wer eine Krankheit vortäuscht, riskiert nicht nur seinen Job, sondern auch rechtliche Konsequenzen. Arbeitgebende können zu viel ausbezahlten Lohn zurückfordern. Krankheitstage, die sich während der Ferienzeit als Täuschung herausstellen, werden nicht als Krankheit anerkannt – die Ferientage sind damit verloren.
Auch Ärzt:innen stehen unter Druck: Wer vorsätzlich ein falsches Zeugnis ausstellt, macht sich strafbar und kann von der FMH mit Sanktionen belegt werden. Trotz dieser Konsequenzen sind gerichtliche Verfahren gegen Ärzt:innen selten, da Unternehmen den Aufwand scheuen.
Zwischen Misstrauen und berechtigten Anliegen
Es bleibt eine schwierige Gratwanderung zwischen der notwendigen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und berechtigtem Misstrauen gegenüber unglaubwürdigen Krankmeldungen. Unternehmen sollten klare interne Regelungen aufstellen, die Fehlzeiten transparent dokumentieren und Verdachtsfälle gezielt überprüfen. Arbeitnehmende sollten sich bewusst sein, dass ein missbräuchlich erlangtes Arztzeugnis nicht nur den eigenen Ruf, sondern auch das gesamte Arbeitsklima schädigt.
Ein transparentes Fehlzeitenmanagement, kombiniert mit präventiven Massnahmen wie betriebliches Gesundheitsmanagement und eine offene Kommunikation, können helfen, das Vertrauen zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden wiederherzustellen.