Akquisition Mensch.
Humankapital ist als Unwort verpönt. Wenn die Manager jedoch ihre Mitarbeitenden wie Kapital bewirtschaften müssten, gingen sie sorgsamer mit ihnen um. Ein Idealzustand (ein Beitrag von: Betty Zucker).
Viel Wasser, ein paar Gramm Salz und einige Spurenelemente. Das ist das Menschenmaterial. Viel Wert hat es nicht. Insofern wundert es nicht, dass mancher Unternehmer seine Leute auf die Strasse wirft wie die Italiener Porzellan an Silvester: in der Hoffnung auf ein gutes, neues Jahr. Gerade wenn das vergangene gar nicht so schlecht war, gönnen sich führende Unternehmer Einsparungen am Humankapital – und verschleudern unbezahlbaren Mehrwert.
Vor kurzem entliess Peter Wuffli von UBS über 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – bei einem Gewinn von über acht Milliarden Franken. Sein Kollege Joe Ackermann von der Deutschen Bank brachte es bei einem Reingewinn von 2,5 Milliarden Euro gar auf 6400. Warum tun sie das? Es ist klar, dass der Strukturwandel drückt und da es biblisch zu und her geht nach dem Motto:
«Ihr kennt weder den Tag noch die Stunde» versuchen alle, nicht die letzten zu sein – und dies nicht nur aus persönlichem Ehrgeiz.
«Competing against time». Es ist aber auch klar, dass Unternehmen nur so gut wie die Mitarbeiter sind, die sie beschäftigten. Also weg mit den Schwächsten, mag man sich denken. Aber es trifft nicht nur sie.
Möchten Sie Humankapital sein?
Wenn ganze Abteilungen dicht machen, geht Humankapital paketweise in die Binsen. Damit stellt sich die Frage: Welchen Wert hat Humankapital? – Sorry. «Humankapital» darf man nicht mehr sagen. Politisch unkorrekt. Das Wort, in dem der Balsam der Menschenwürde mit der harten Münze des Kapitals amalgamiert, wurde kürzlich zum Unwort des Jahres erklärt, und der geneigte Leser spürt etwas. Im Begriff steckt politischer und ökonomischer Sprengstoff. Verstehen Sie sich als materielle Wertanlage mit der Lebensaufgabe, Zinsen zu tragen?
Humankapital erscheint als eine Ware, wie etwa eine Wurst, in dem das einzelne Stück Mensch zu einem undefinierbaren Anteil zerfasert.
Als Humankapital sind wir Objekte in den Händen von Humankapitalisten, die uns akquirieren, zu ihren Zwecken benutzen und uns anzuhäufen versuchen oder uns verhökern, fast wie einst, als es noch Sklaven gab. Im Humankapital verrät sich ein Wort aus dem Dictionnaire des Teufels. Es ist das Enkelchen von Theodor Fontanes «Menschenmaterial», das Karl Marx im «Kapital» verwendete, um das wahre Gesicht des Kapitalismus zu entlarven, und das später auf dem anderen Flügel des politischen Spektrums sein Unwesen trieb. Im Humankapital steckt die Zukunft einer Wirtschaft und Gesellschaft, in der sich der marxistische Gegensatz von Kapital und Arbeit auflöst, denn Arbeit und Kapital, dieser Widerspruch zwischen Ausbeuter und Ausgebeutetem, hat in Zukunft die Neigung, zusammenzufallen. Diese Entwicklung konnte selbst Karl Marx, dieser Jahrtausendsassa, nicht erahnen. Bei allem Überfluss an Arbeitskräften ist Humankapital je länger je mehr Mangelware.
«Talent makes Capital dance», das erlebt jeder am eigenen Leibe, der Experten sucht.
Doch Talent fällt immer durch seine auffallende Seltenheit auf. Und was selten ist, hat seinen Preis. Aber selbst unter den «Arbeitern» hat Arbeit den Ruch der Ausbeutung verloren. Das junge Jahrtausend hat uns gelehrt, dass es besser ist, Arbeit in der Rolle als Humankapital zu haben, als Freizeit rund um die Uhr.
Langfristige Kapitalanlage
Der globale homo oeconomicus von heute weiss, dass Kapital Zinsen trägt, pflegt sein eigenes Humankapital und legt es mit Vorteil langfristig an. Einige menschliche Werte geniessen in unserer postindustrialisierten Wirtschaft einen steigenden, mit Gold aufgewogenen Wert: Leistungsbereitschaft und die Fähigkeit, Know-how sowie alle Mittel und Anstrengungen, diese zu erhalten und zu stärken, sind das wahre Kapital, und damit wertvoller als alles andere, was sich ein Kapitalist der alten Schule vorstellen kann. Finanzkapital ist in der Regel schnell zur Stelle, wenn gute Ideen und ihre Umsetzer überzeugen.
Arbeit als Gewinnfaktor
Was Menschen vermögen, ist das begehrteste Gut. Seien das Fähigkeiten im Kommunizieren, im Singen, im Fussballspielen oder im Erfinden eines Zauberers. Das «Vermögen » von Harry Potters Erfinderin Joan Rowland lässt Peter Wuffli, Joe Ackermann oder Daniel Vasella, ja selbst die Queen arm aussehen. Das alles erzählt das Wort «Humankapital » in einem einzigen Wort. Am menschlichen Vermögen oder eben Unvermögen – dem eigenen oder dem seiner Mitarbeiter – entscheidet sich der Erfolg oder Misserfolg eines Managers. So stellt sich beispielsweise bei Mergers & Acquisitions stets die entscheidende Frage, ob das Management gehen muss oder darf, oder unbedingt bleiben muss, um den zukünftigen Erfolg sicher zu stellen. Ein Grossteil der Fusionen scheitert am Unvermögen, das aquirierte Unternehmen, sprich seine Leistungsträger, sinnvoll zu integrieren. Der Erfolgsanleger Warren Buffet richtet seine Aktienportfolios selbst bei milliardenschweren Konzernen nicht zuletzt nach der Qualität der obersten Führungskräfte aus. Das zeigt auch: Der Wert des Humankapitals ist von Mitarbeiter zu Mitarbeiter verschieden. Je tiefer die Hierarchiestufe und die Qualifikation, um so unbekümmerter werden Arbeitskräfte weiterhin als Kosten – als head count – veranschlagt. In den postindustrialisierten Ländern gehört die Zukunft den Unternehmen mit Spitzenkräften auf allen Stufen.
Die Chance zu Mehrwert
Wenn es ein Kapital gibt, das dem Unternehmen dauerhafte und schwer nachahmbare Wettbewerbsvorteile bringt, ist es das Humankapital. In seiner neuen Dimension der Kreativität, Innovationskraft und sozialen Kompetenz, auf das in pampigen Reden und Hochglanzbroschüren so gepocht wird. Anderseits, das sei gern zugestanden, erweisen sich Investitionen in diese Art von Kapital auch als äusserst risikoreich. Davon können Fussballclubs, die kaum über Finanzkapital und sogenanntes strukturelles Kapital verfügen, ein Lied singen. Wohl deshalb bilden noch nicht die Personalmärkte, sondern nach wie vor die Finanz und Kapitalmärkte den Dreh- und Angelpunkt der Wirtschaft. Das Humankapital bleibt noch im Schatten der glänzenden Zahlen.
Leider ist es bis heute weder erlaubt noch praktisch machbar, das Humankapital präzise zu bilanzieren, doch wenn die Humankapitalisten ihre Mitarbeiter wie Kapital bewirtschaften müssten, gingen sie sorgsamer und effizienter mit ihnen um.
Wenn wir dem Humanen im engeren Sinn Kapitalwert verleihen, sind wir endlich dort, wo die Humanisten immer hin wollten, und Karl Marx auf halbem Weg stecken blieb: An der Schwelle zur nächsten Utopie.