Schweizer Arbeitsintegration auf dem Prüfstand – Hilfe von Public Private Partnership?
Die Schweiz schneidet bezüglich der Erwerbslosenquote im Konzert der OECD-Staaten fast am besten ab (siehe nachfolgende Grafik 1). Die Integration von Arbeitslosen, Ausgesteuerten und Invaliden könnte aber durch eine intensivere, besser koordinierte Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Institutionen verbessert werden. Zu diesem Schluss gelangen die Politik-Controller der OECD in einem neuen, 140seitigen Bericht über die Schweizer Aktivierungspolitik (ein Beitrag von: Myra Fischer-Rosinger, swissstaffing).
Die Ursachen für die tiefe Erwerbslosenquote ortet die OECD einerseits im flexiblen Arbeitsmarkt, nämlich in der dezentralen Lohnfestsetzung und dem relativ schwachen gesetzlichen Kündigungsschutz. Andererseits sei auch der gelungene Mix aus den im internationalen Vergleich mit relativ vielen Mitteln geförderten arbeitsmarktlichen Massnahmen und der weltweit striktesten Jobsuch-Kontrolle für das gute Ergebnis verantwortlich.
So gut Dezentralisierung im Falle der Lohnbildung ist, so störend empfinden die OECD-Autoren den Föderalismus aber im Vollzug des Arbeitslosenversicherungsgesetzes. Die Performance der öffentlichen Arbeitsvermittlung unterscheide sich zum Teil stark zwischen den Kantonen beziehungsweise Gemeinden. Deshalb empfiehlt die OECD dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), die kantonalen und kommunalen Arbeitsmarktbehörden besser zu koordinieren. Koordinationsbedarf stellt die OECD allerdings nicht nur zwischen den Arbeitsämtern fest, sondern auch gegenüber anderen Institutionen, die mit der Arbeitsintegration betraut sind, wie den Sozialbehörden und der Invalidenversicherung, die für die Reintegration von Ausgesteuerten und Invaliden teilweise eigene (Parallel-)Organisationen geschaffen haben. Die OECD weist zudem darauf hin, dass gerade die Auslagen für Invalidenrenten und Erwerbsausfall den Grossteil der Sozialausgaben ausmachen. Sie seien dreimal so hoch wie die Ausgaben für die Arbeitslosenentschädigung.
Ausserdem moniert die OECD, dass die vergleichsweise tiefe Arbeitslosenrate nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass bestimmte Teile der Wohnbevölkerung wie Ausländer, Ausländerinnen oder gering Qualifizierte eine um bis zu dreimal so hohe Erwerbslosenquote aufweisen. Und zum allgemeinen Erstaunen verfügt die Schweiz sogar über eine deutlich überdurchschnittliche Langzeitarbeitslosen-Rate: 30 Prozent der Arbeitslosen waren 2009 ein Jahr oder länger stellensuchend. Der Gesamt-OECD-Schnitt betrug in diesem Jahr dagegen 24 Prozent. Länder mit ähnlich tiefen Erwerbslosenquoten wie die Schweiz – beispielweise Norwegen oder Dänemark – weisen gar eine Langzeitarbeits-losen-Rate von unter 10 Prozent auf (siehe auch nachfolgende Grafik 2).
Defizite bei der Vermittlung
Besonders aufgefallen ist der Befund, dass die öffentliche Arbeitsvermittlung einen erstaunlich begrenzten Anteil an den offenen Stellen und den Vermittlungen hat – sowohl gemessen am gesamtschweizerischen Arbeitsmarkt als auch im Vergleich mit der öffentlichen Arbeitsvermittlung anderer OECD-Länder. Das Verhältnis der den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) gemeldeten Stellen am gesamtwirtschaftlichen Total der Anstellungen beträgt laut OECD in der Schweiz nur elf Prozent.
In anderen OECD-Ländern mit zum Teil ähnlich tiefen Erwerbslosenquoten wie Norwegen, Grossbritannien, Finnland oder Japan beträgt dieser Quotient 50, 53, 60 beziehungsweise gar 78 Prozent.
Vor allem in konjunkturell guten Jahren melden die Unternehmen den RAV nur einen Bruchteil aller offenen Stellen. Hinzu kommt, dass die RAV nur rund einen Drittel dieser Stellen zu besetzen vermögen, obschon der Pool der bei ihnen gemeldeten Stellensuchenden um ein Vielfaches höher liegt. Dieses Gefälle dürfte teilweise im qualifikatorischen Ungleichgewicht begründet sein, das am Arbeitsmarkt herrscht. Trotzdem dürfte dies nur einen Teil der beobachteten Diskrepanz erklären.
Denn parallel zu den RAV vermitteln die privaten Personaldienstleister, wie die OECD feststellt, eine sogar grössere Anzahl Stellensuchender.
Hinzu kommt, dass organisatorische Hürden bei der öffentlichen Arbeitsvermittlung zu Verzögerungen führen, bis neu arbeitslose Personen ihr erstes Gespräch mit einer Beratungsperson beim RAV führen können. Auch der Umgang der RAV mit den gemeldeten Stellen sei suboptimal. Insbesondere die Performance der RAV bei der Auswahl von geeigneten Kandidaten für diese offenen Stellen sei verbesserungsfähig. Offenbar sind die Unternehmen der Meinung, dass rund die Hälfte der vorgeschlagenen Kandidaten und Kandidatinnen die Jobanforderungen nicht erfüllen. Demgegenüber gaben in einer Untersuchung von swissstaffing drei Viertel der rund 1000 befragten Unternehmen an, dass die von privaten Temporärfirmen vermittelten Arbeitskräfte das erforderliche Qualifikationsprofil erfüllen oder gar übertreffen.
Die OECD empfiehlt den Arbeitsmarktbehörden die Zusammenarbeit mit privaten Personaldienstleistern.
Aus diesen Gründen empfiehlt die OECD den Arbeitsmarktbehörden, die Zusammenarbeit mit den privaten Personaldienstleistern auszubauen. Der Verband der Personaldienstleister swissstaffing begrüsst den OECD-Vorschlag, weil er überzeugt ist, dass die privaten Vermittler sehr gut positioniert sind, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Andere Länder, wie beispielsweise Australien, haben dies erkannt und praktisch die gesamte Arbeitsvermittlung privaten Anbietern übertragen. Zentral dabei ist, wie die OECD-Beratenden zu Recht vorschlagen, die «Privatisierung» mit einem Wettbewerbs- beziehungsweise Anreizelement auszugestalten. So soll die öffentliche Hand Aufträge für die Reintegration von Stellensuchenden ausschreiben und so für Wettbewerb unter den privaten Anbietern sorgen. Integrationsfördernde Anreize würden zudem gesetzt, indem die privaten Vermittler erst bei einer erfolgreichen Platzierung entschädigt werden.
Temporärfirmen besonders gut positioniert
Gerade Temporärstellenvermittler könnten, wenn der Staat Hand dazu bietet, noch mehr an die Arbeitsintegration beitragen. Im Unterschied zu einer traditionellen Feststellenvermittlung haben die Temporärfirmen Erfahrung darin, Menschen mit Integrationsschwierigkeiten am (regulären) Arbeitsmarkt zu platzieren. Mit diesem Know-how und ihren guten Kontakten zu zahlreichen Unternehmen sind sie optimal ausgerüstet, um die RAV zu unterstützen. Im Unterschied zu den RAV können sie sich dabei auf die Stellenvermittlung konzentrieren, da sie keine Kontroll-und Sanktionierungsaufgaben wahrnehmen müssen beziehungsweise dürfen. Wenn die Stellensuchenden über die Temporärbüros mitunter «nur» einen Job auf Zeit erhalten, hilft ihnen auch dies weiter.
Denn die OECD stellt fest, dass besonders der Zwischenverdienst – mehr als alle anderen arbeitsmarktlichen Massnahmen – die längerfristigen Beschäftigungschancen steigert.
Bis zu einem gewissen Grad arbeiten die öffentliche und die private Arbeitsvermittlung schon heute zusammen. Das Seco hat seine Bemühungen zur Förderung der Zusammenarbeit in diesem Jahr gar verstärkt, und gewisse Kantone haben eigene Kooperationsprogramme lanciert. Die OECD bestätigt nun aber den Eindruck von swissstaffing, dass diese Zusammenarbeit im Interesse der Stellensuchenden intensiviert werden könnte. In ihrer Untersuchung stellt die OECD fest, dass private Anbieter nur für 1 auf 130 bis 150 Stellensuchende einen Vermittlungsauftrag erhalten.
Dabei ist zu beachten, was auch der OECD-Bericht hervorhebt, dass die private und die öffentliche Arbeitsvermittlung völlig unterschiedlichen Gesetzmässigkeiten gehorchen. Die privaten Stellenvermittler sind gewinnorientierte Organisationen, die für die Bereitstellung ihrer Dienstleistung für die Stellensuchenden und Unternehmen an ökonomische Realitäten gebunden sind. Deshalb konzentrieren sie sich auf jene Arbeitssuchenden, die rasch und ohne allzu grosse Investitionen platziert werden können. Das bedeutet aber nicht, dass nicht auch Langzeitarbeitslose oder Ausgesteuerte immer wieder über Personaldienstleister einen Job finden. Demgegenüber alimentiert sich die öffentliche Arbeitsvermittlung durch Steuergelder. Sie hat damit einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen, der sich von gewinnorientierten Organisationen nicht erledigen liesse, nämlich die Platzierung und insbesondere die Steigerung der Arbeitsmarktfähigkeit von zum Teil in der Vermittelbarkeit stark eingeschränkten Stellensuchenden. Diese hehre Aufgabe rechtfertigt die entsprechende Verwendung öffentlicher Gelder.
Der Bremsklotz für eine intensivere Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und privater Arbeitsvermittlung liegt vermutlich zuallererst im gesetzlichen Auftrag an die RAV. Solange die RAV einen expliziten Vermittlungsauftrag haben und, wie die OECD feststellt, daran gemessen werden, fühlen sie sich womöglich durch private Vermittler konkurrenziert. swissstaffing ist deshalb der Auffassung, dass eine klarere Aufgabenteilung Not täte, bei der die Platzierung der gut vermittelbaren Arbeitssuchenden dem Markt überlassen und die Förderung der Employability der anderen Stellensuchenden den Arbeitsmarktbehörden übertragen würde. Die Privaten sollen vermitteln, die öffentliche Hand soll kontrollieren, motivieren und qualifizieren – so könnte eine effiziente Lösung ausschauen.
Hier noch zu den oben erwähnten Grafiken: Klicken Sie darauf, um diese zu vergrössern.