Feb 22

Leiden die Pensionskassen an Skorbut?

Author: PersonalRadar

Skorbut ist eine Krankheit, die bei Mangel an Vitamin C auftritt und im schlimmsten Fall zum Tod führen kann. Gerade während langen Schiffsfahrten in die neue Welt trat diese Mangelerscheinung oft auf und schwächte die Mannschaften erheblich.

Auch die Berufliche Vorsorge (BVG) befindet sich auf einer langen, zuweilen nervenaufreibenden Fahrt. Sie leidet im Moment an akutem Vitaminmangel und viele gewinnen den Eindruck, dass ihr bald keine Zähne mehr bleiben. Das schwindende finanzielle Zahnfleisch legt die ‚Zinshälse’ frei und schwächt die Wurzeln des Vorsorgekonstrukts.

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Am 21. Februar 2012 kam im Nachrichtenmagazin 10vor10 des Schweizer Fernsehens ein interessanter Beitrag. Prof. Dr. Martin Jannsen am Institut für Banking und Finance an der Uni Zürich, Frau Colette Nova, Vizedirektorin im Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), Werner Hertzog, Managing Director bei AON Hewitt und Frau Doris Bianchi vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund gaben ihre Sichtweisen betreffend der Situation der Schweizerischen Pensionskassen zum Besten. Danach war man so klug wie je zuvor.

Allerdings liess das Votum von Herrn Prof. Jannsen stark und fast ungläubig aufhorchen. Er ist der interessanten Meinung, dass der Umwandlungssatz um mindestens einen Drittel gekürzt werden sollte, damit die BVG-Renten finanzierbar bleiben.

Was heisst das nun konkret in der realen Welt jener, die in Pension gehen? Nachfolgend ein kleines Rechenbeispiel:

Ein Ehepaar konnte sich während der aktiven Erwerbszeit CHF 400’000.- Vorsorgekapital in der Pensionskasse zusammen sparen. Der Umwandlungssatz ist im Moment 6,9%. Das heisst auf CHF 100’000.- Vorsorgekapital erhält das Ehepaar 6,9% oder CHF 6’900.- im Jahr. Das ergibt auf die Gesamtsumme eine jährliche Pensionszahlung von CHF 27’600.-. Jeden Monat erhält somit das Ehepaar zum Betrag der AHV noch CHF 2’300.- ausbezahlt. In Zukunft wird es dann noch ein bisschen weniger werden, wenn der Umwandlungssatz auf 6,8% absinkt. Der Satz von 6,4% wurde ja bei einer Volksabstimmung deutlich abgelehnt. Würde man nun diesen kommenden Umwandlungssatz von 6.8% um einen Drittel, also konkret auf 4,53% absenken lassen, damit die Vorsorgeeinrichtungen angeblich nicht ausbluten, dann hätte unser Ehepaar im Monat durchschnittlich CHF 760.- weniger auf dem Konto.

In der Tat beeinflussen die internationalen Kapitalmärkte die Performanceleistungen der Pensionskassen. Ist nämlich der Kapitalmarkt impotent, dann schüttet er auch keine Hormone aus. Die ‚Zinserregung’ bleibt wo sie ist – am Boden.

Nicht alle können sich ein sorgenfreies Alter leisten.

Die professorale Forderung der Reduktion um einen Drittel hätte aber auch grosse Konsequenzen. Für die Pensionierten wie auch für die Allgemeinheit. Viele Pensionierte müssten ihren Lebensstandard drastisch mindern. Endlich hätte man mehr Zeit und ist noch fit, aber die Ferien sind nicht mehr finanzierbar. Endlich kann man das Refugium der Wohnung oder des Hauses in vollen Zügen geniessen, aber die Miete oder die Hypothek sind zu teuer und ein Domizilwechsel wird unvermeidlich. Endlich hat man Zeit für die Muse, aber die Theaterbühne, der Kinosaal oder das Konzerthaus werden zum ‚Kulturluxus’, weil die Eintrittspreise das schmale Altersbudget empfindlich belasten. Im Alter nehmen auch die Beschwerden zu. Arztbesuche werden häufiger. Der Selbstbehalt wurde erhöht, um die Prämien sinken zu lassen. Plötzlich flattern erhöhte Rechnungen des Spitals oder des Arztes ins Haus und die Sorgen fangen an. Wie soll das alles bezahlt werden?

Das alte Gespenst der Altersarmut kommt aus seiner Gruft und verbreitet seinen Modergeruch.

Alte, längst überwunden geglaubte Ängste, werden manifest und Realität. Es braucht Ergänzungsleistungen des Staates, um solche Finanzlücken mehr schlecht als recht füllen zu können. Wer finanziert diese? Die Allgemeinheit. Es wurde schon oft in diesem Blog moniert, dass es auch mal an der Zeit wäre nicht nur die Beitragszahlenden, nämlich die Arbeitgeber und Arbeitnehmenden, und ebenso die Pensionierten zur Kasse zu bitten. Es wären sicher auch einmal ein paar professorale Gedanken überfällig, ob das überreglementierte und überverwaltete System der Beruflichen Vorsorge, das zudem viele andere nicht wirklich notwendig Nutzniessende nährt, nicht einmal mutig entschlackt und schlanker ausgerichtet werden könnte. Selbstverständlich kann nicht jedes Verwaltungssystem derart ‚entvitaminisiert’ werden, dass im schlimmsten Fall der verwaltungsinterne Skorbut ausbricht und das System stirbt. Aber viele dieser Vorsorgeeinrichtungen haben sich Speck angefuttert und schauen nun ängstlich auf das Laufband der systemimmanenten Entschlackung mit anschliessendem Fitnessdrink voller Vitamine. Es ist ungerecht immer nur die Opfer auf der gleichen Seite auszumachen. Vielleicht geht es auch noch anders. Zudem bleibt zu hoffen, dass sich die Finanzmärkte wieder soweit erholen, dass diese Diskussion ohnehin müssig wird.

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