Betrügerische Firmen lassen die Temporärbranche ausbluten.
Die Konkursverschleppung ist in der Schweiz ein weit verbreitetes, aber oft unterschätztes Problem.
In gewissen Branchen, insbesondere in der Branche der Personaldienstleister, richtet diese Praxis erheblichen wirtschaftlichen Schaden an. Während seriöse Unternehmen und ihre Mitarbeitenden die finanziellen Konsequenzen tragen, profitieren skrupellose Akteure von systematischen Lücken in der Gesetzgebung. Besonders perfide: Die derzeitigen Bestimmungen bieten ihnen nach wie vor zu viele Schlupflöcher.
Ein System mit Kalkül – das immer gleiche Muster
Das Vorgehen solcher Unternehmen folgt fast immer demselben Schema: Eine Firma wird gegründet, nimmt schnell Kapital auf und arbeitet mit langen Zahlungszielen. Währenddessen häufen sich Verbindlichkeiten gegenüber Sozialversicherungen, Lieferanten und Mitarbeitenden an. Kurz bevor ernste Konsequenzen drohen, wird die Bilanz deponiert und der Konkurs eröffnet – oft wohlüberlegt und strategisch.
Die Schulden bleiben bestehen, während die Verantwortlichen unter einem neuen Firmennamen erneut auftreten und das Spiel von vorne beginnt.
Ein bekanntes Beispiel ist der Fall eines Bauunternehmens in der Region Zürich, das während drei Jahren wiederholt Subunternehmen beauftragte, diese jedoch systematisch nicht bezahlte. Als die Klagen sich häuften, wurde die Firma in den Konkurs geschickt. Nur wenige Wochen später war der Inhaber mit einer neuen GmbH wieder auf dem Markt, mit demselben betrügerischen Modell. Das Resultat: zahlreiche Gläubiger blieben auf unbezahlten Rechnungen sitzen, Sozialversicherungen wurden um Beiträge geprellt, und dutzende Bauarbeiter verloren ihren Lohn.
Temporärbranche besonders betroffen
Besonders häufig sind solche Missbräuche in der Temporärbranche zu beobachten. Temporärunternehmen garantieren die Lohnzahlungen ihrer vermittelten Mitarbeitenden unabhängig davon, ob ihre Kunden fristgerecht bezahlen. Wird eine Rechnung nicht beglichen, bleibt das finanzielle Risiko beim Personaldienstleister. Diese Situation machen sich unseriöse Firmen gezielt zunutze: Sie stellen Mitarbeitende temporär ein, lassen sich Arbeitsleistungen erbringen und zahlen die Rechnungen bewusst nicht. Nach einigen Monaten melden sie Konkurs an und tauchen unter.
Ein weiteres Beispiel ist ein Logistikunternehmen in der Westschweiz, das in kurzer Zeit zahlreiche Temporärarbeitende anstellte, sich die geleisteten Arbeitsstunden fakturieren liess und dann in den Konkurs ging, ohne die offenen Löhne zu begleichen. Die betroffenen Arbeitnehmenden blieben monatelang ohne Einkommen und mussten komplizierte Verfahren durchlaufen, um wenigstens einen Teil ihres Lohns zu erhalten.
Das Vorgehen richtet viel Schaden an
Die finanziellen Folgen dieser betrügerischen Praxis sind enorm. Obwohl es kaum offizielle Statistiken dazu gibt, ist die Tragweite offensichtlich:
- Sozialversicherungen und Pensionskassen verlieren jährlich Millionenbeträge durch unbezahlte Beiträge.
- Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) geraten durch ausbleibende Zahlungen in finanzielle Engpässe oder müssen selbst den Konkurs anmelden.
- Temporärunternehmen, die als Vermittler zwischen Arbeitskräften und Firmen fungieren, werden regelmässig Opfer von Zahlungsausfällen und riskieren den Ruin.
- Arbeitnehmende stehen plötzlich ohne Einkommen da und haben oft grosse Mühe, ihre Ansprüche durchzusetzen.
Die volkswirtschaftlichen Verluste summieren sich besorgniserregend, die von der Allgemeinheit getragen werden. Dennoch wird das Problem weitgehend ignoriert.
Mangelnde Konsequenzen für die Verantwortlichen
Trotz der offensichtlichen Missstände gibt es kaum wirksame Massnahmen, um Wiederholungstäter zur Rechenschaft zu ziehen. Die juristischen Hürden sind hoch, und in vielen Fällen bleiben Sanktionen aus. Selbst wenn eine Verurteilung erfolgt, sind die Strafen oft gering und entfalten kaum eine abschreckende Wirkung.
So wurde ein Firmeninhaber im Kanton Aargau, der in fünf Jahren fünf Mal Konkurs anmeldete, lediglich zu einer geringen Busse verurteilt. Bereits wenige Monate später war er wieder in der Branche aktiv – mit einem neuen Firmennamen, aber demselben betrügerischen Konzept.
Reformbedarf: Diese Massnahmen sind überfällig
Um die Situation nachhaltig zu verbessern, braucht es dringend eine konsequentere Regulierung und effektivere Kontrollmechanismen:
- Strengere Sanktionen für missbräuchliche Konkurse: wer wiederholt Unternehmen in den Konkurs führt, muss mit langfristigen Geschäftseinschränkungen rechnen. Eine Gewerbesperre für Wiederholungstäter wäre eine wirksame Massnahme.
- Eine zentrale Datenbank für problematische Akteure: eine öffentliche Liste für Unternehmen und Personen, die mehrfach mit Konkursverschleppung in Verbindung stehen, würde Transparenz schaffen und das Risiko minimieren.
- Frühzeitige Erkennung von Risiken: Sozialversicherungen und AHV-Ausgleichskassen sollten aktiv gegen Unternehmen vorgehen, die über Monate hinweg keine Beiträge leisten.
- Persönliche Haftung für wiederholte Misswirtschaft: wer vorsätzlich Konkursverschleppung betreibt, sollte nicht nur mit dem Firmenvermögen, sondern auch privat haften.
- Bessere Absicherung für Temporärunternehmen: gesetzliche Anpassungen, die Personaldienstleister vor Zahlungsausfällen besser schützen, sind notwendig.
Handlungsbedarf ist unbestreitbar
Die Temporärbranche spielt eine systemrelevante Rolle in der Schweizer Wirtschaft und darf nicht länger zum Ziel unlauterer Geschäftspraktiken werden. Die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen lassen jedoch weiterhin zu, dass sich einige Unternehmen auf Kosten der Allgemeinheit bereichern. Was wird das System angepasst?
Es liegt nun an der Politik, die notwendigen Reformen voranzutreiben und ein Umfeld zu schaffen, in dem Integrität belohnt und Missbrauch konsequent sanktioniert wird. Andernfalls bleibt das Problem bestehen – mit gravierenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen.