Das Märchen von der ‚Siegermentalität‘
Es herrscht eine unerbittliche Obsession mit dem Begriff des ‘Erfolgs’. Unter dem Deckmantel einer vermeintlichen ‘Gewinnerkultur’ werden Mitarbeitende in drei Kategorien eingeteilt: die ‘Performer’, die ‘Achiever’ und die ‘Improver’.
Doch hinter diesen wohlklingenden Etiketten verbirgt sich ein undurchsichtiges System der Belohnung und Bestrafung, das die tiefgreifenden Probleme und Ungerechtigkeiten in modernen Arbeitsstrukturen verschleiert.
Die ‘Performer’ – die schillernden Stars der modernen Arbeitswelt.
Sie werden mit Bonuszahlungen und Lob überschüttet, als würden sie schwerelos über die Erde schreiten. Alles was sie anfassen wird, wie bei König Midas, zu Gold. Ihre Leistungen werden als Massstab für Exzellenz hochgejubelt und ihre scheinbare Unfehlbarkeit wird von allen bewundert. Doch hinter dem Vorhang des Ruhms und der Anerkennung verbirgt sich oft eine Geschichte, die selten erzählt wird.
Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass die Erfolge der ‘Performer’ oft stark überbewertet und verzerrt sind. Unternehmen neigen dazu, das Endprodukt zu belohnen, ohne die komplexen Wege und Umstände zu berücksichtigen, die zu diesem Erfolg geführt haben. Ein Beispiel hierfür findet sich in Verkaufsabteilungen, wo zum Beispiel ein Vertriebsmitarbeiter im Aussendienst, der einen lukrativen Vertrag abschliesst, oft als der strahlende Held gefeiert wird, ohne dass die Hintergrundarbeit und die Unterstützung des Teams angemessen gewürdigt werden. Die damit verbundenen Prozesse, das Training und die Ressourcen, die zur Verfügung gestellt wurden, um diesen Erfolg zu ermöglichen, werden oft einfach übersehen.
Diese einseitige Betonung auf das Ergebnis führt zu einer Unterschätzung der zugrunde liegenden Prozesse und Bedingungen, die zum Erfolg beitragen.
Ein weiteres Beispiel findet sich in der Technologiebranche, wo Entwickler, die in kurzer Zeit grosse Mengen an Code produzieren können, oft als ‘Performer’ gefeiert werden. Doch die Qualität und Nachhaltigkeit dieser Codebasis, sowie die Zusammenarbeit mit anderen Teams und die Einhaltung von ‘Best Practices’, werden häufig vernachlässigt.
Dies führt nicht nur zu einer Verzerrung der Leistungen einzelner Mitarbeitenden, sondern auch zu einem Mangel an Transparenz und Fairness im Unternehmen. Mitarbeitende, die nicht dem Ideal des ‘Performer’ entsprechen, können sich vernachlässigt oder gar diskriminiert fühlen, auch wenn sie wichtige Beiträge zum Erfolg des Unternehmens leisten.
Es ist ratsam, dass Unternehmen ihre Definition von Erfolg überdenken und eine Arbeitskultur fördern, die die zugrunde liegenden Prozesse und Bedingungen würdigt, die zum eigentlichen Erfolg beitragen. Dies erfordert ein Umdenken in der Art und Weise, wie Leistung bewertet und belohnt wird, sowie eine stärkere Betonung auf Zusammenarbeit, Transparenz und Fairness.
Die ‘Achiever’ – die stillen Helden der Arbeitswelt
Sie gehen still ihren Pflichten nach, ohne die hellen Scheinwerfer der Anerkennung auf sich zu lenken. Ihr Beitrag bleibt oft im Schatten der strahlenden ‘Performer’, die die Bühne mit ihren Erfolgen beherrschen. Doch während die ‘Performer’ die Schlagzeilen dominieren, sind es die ‘Achiever’, die das unsichtbare Rückgrat des Unternehmens bilden.
Diese stillen Helden werden von der ‘Gewinnerkultur’ oft übersehen und vernachlässigt.
Solange sie keine Probleme verursachen, werden sie in Ruhe gelassen und als Selbstverständlichkeit betrachtet. Doch gerade diese Unauffälligkeit täuscht über ihre immense Bedeutung hinweg. Die ‘Achiever’ sind oft diejenigen, die die täglichen Aufgaben erledigen, auf die das Unternehmen angewiesen ist. Sie sind diejenigen, die die Rädchen am Laufen halten und dafür sorgen, dass der Betrieb reibungslos funktioniert.
Ein Beispiel hierfür findet sich in administrativen Positionen, wo Mitarbeitende oft im Hintergrund arbeiten, um sicherzustellen, dass die täglichen Abläufe reibungslos funktionieren. Sie kümmern sich um die Buchhaltung, den Kundenservice, die Logistik und vieles mehr, während die ‘Performer’ in den Vorstandssitzungen und auf den Firmenevents gerne und demonstrativ die Hauptrolle spielen.
Doch trotz ihrer essenziellen Rolle im Unternehmen werden die ‘Achiever’ oft weder aktiv gefördert noch offen kritisiert. Sie werden als selbstverständlich betrachtet und erhalten selten die Anerkennung, die sie verdienen sollten. Dies führt zu Frustration und Demotivation bei den betroffenen Mitarbeitenden, die das Unternehmen am Laufen halten, während andere die Lorbeeren ernten.
Daher ist wichtig, dass Unternehmen die Arbeit der ‘Achiever’ angemessen würdigen und anerkennen. Dies erfordert eine bewusste Kultur des Respekts, der proaktiven Förderung und der Wertschätzung für diese wichtige Mitarbeitergruppe, unabhängig von ihrer sichtbaren Präsenz oder ihrem Einfluss. Sie sind quasi das Schmierfett im unternehmerischen Getriebe, die viel am Laufen halten.
Die ‘Improver’ – mutigen Visionäre, die das Potenzial der Arbeitswelt neu gestalten wollen.
Doch statt Bewunderung ernten sie oft Misstrauen und Zurückweisung. Sie werden nicht nur vernachlässigt, sondern auch bestraft, als ob ihre Bemühungen um Veränderung ein Verbrechen gegen den Status quo wären. Anstelle von Anerkennung erhalten sie Nachhilfe und Korrekturmassnahmen. Ihre innovativen Ideen und Anstrengungen um Verbesserung werden als Bedrohung wahrgenommen, belächelt und lächerlich gemacht.
Es ist ein weiterer schmerzhafter Widerspruch: Diejenigen, die das Potenzial haben, langfristigen Erfolg zu sichern, indem sie auf Schwachstellen hinweisen und Verbesserungen vorschlagen, werden oft als Störenfriede behandelt.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass viele der bahnbrechendsten Innovationen und Fortschritte in der Arbeitswelt von Menschen stammen, die den Mut hatten, den Status quo in Frage zu stellen und neue Wege zu gehen. Doch trotz dieser Beweise für den Wert von Veränderung und Innovation werden die ‘Improver’ oft als Aussenseiter*innen behandelt und marginalisiert.
Ein Beispiel hierfür findet sich in vielen traditionellen Unternehmen, wo Mitarbeitende, die neue Ideen vorschlagen oder auf ineffiziente Prozesse hinweisen, oft auf erbitterten Widerstand stossen und als ‘Improver’ abgestempelt werden. Anstatt ihre Bemühungen zu unterstützen und zu fördern, werden sie als Bedrohung für die etablierte Ordnung betrachtet und entsprechend rigoros behandelt und abgestraft. Dies führt nicht nur zu Frustration und Demotivation bei diesen, sondern auch zu einem Totalverlust an wertvollem Innovationspotential und langfristigem Erfolg für das Unternehmen.
Unternehmen, die den Wert der ‘Improver’ würdigen und anerkennen, geht es meistens viel besser. Denn diese Mitarbeitenden sind die Motoren des Wandels, die das Unternehmen voranbringen und langfristigen Erfolg sichern können. Es erfordert auch hier eine Kultur des Respekts und der Offenheit gegenüber neuen Ideen und Innovationen, um sicherzustellen, dass die ‘Improver’ die Unterstützung erhalten, die sie verdienen, um ihre positive Wirkung entfalten zu können.
Gewinnt die ‘Gewinnerkultur’ wirklich?
Die sogenannte ‘Gewinnerkultur’ erweist sich bei genauerer Betrachtung als ein verzerrtes Spiegelbild der modernen Unternehmenswelt. Sie belohnt nicht zwangsläufig diejenigen, die tatsächlich Wert schaffen, sondern vielmehr diejenigen, die am besten in das vorgegebene Narrativ passen. Dies führt zu einem bedenklichen Mangel an Vielfalt und Innovation, da Mitarbeitende entweder gezwungen sind, sich anzupassen und ihr eigenes Potenzial zu unterdrücken, oder riskieren, marginalisiert zu werden.
Ein weiteres Beispiel offenbart sich im Finanzsektor, wo diejenigen, die kurzfristige Gewinne erzielen, oft als ‘Performer’ gefeiert werden, während diejenigen, die auf nachhaltige Investitionen und ethische Praktiken drängen, als ‘Improver’ abgestempelt und weniger belohnt werden. Diese sehr kurzfristige und problematische Denkweise geht zu Lasten der langfristigen Stabilität und Reputation des Unternehmens.
Die Überheblichkeit der ‘Gewinnerkultur’ führt oft in den Ruin. Der Wechsel von kurzfristigen Erfolgen hin zu nachhaltiger Entwicklung und echter Wertschöpfung ist besser.
Nur durch die Schaffung einer inklusiven Umgebung, in der alle Mitarbeitenden ihr volles Potenzial entfalten können, werden Unternehmen nicht nur kurzfristige ‘Gewinner’ hervorbringen, sondern langfristig erfolgreich und ethisch verantwortungsbewusst agieren.