Ist ihr ‚Width-to-Height-Ratio’ gut? Die Pseudowissenschaften Phrenologie und Physiognomie kommen wieder aus der Mottenkiste.
Es war schon immer der Wunsch vieler, dass man aufgrund einer einfachen Typologie Menschen schnell einschätzen kann. Es bleibt glücklicherweise beim Wunsch.
Wie der Herr, so’s Gescherr (in etwa: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm) kommt einem in den Sinn, wenn ein Hundebesitzer mit seinem Tier auf der Promenade flaniert und die Ähnlichkeit beider frappant ist.
Schon Aristoteles, der bekannte griechische Philosoph, hat sich mit der Physiognomik beschäftigt. Diese Pseudowissenschaft möchte beweisen, dass man aufgrund der Gesichtszüge die Charaktereigenschaften eines Menschen lesen und beurteilen kann. Sieht das Gegenüber irgendwie schafsähnlich aus, dann muss es dumm und einfältig sein. Auch ein anderer griechischer Philosoph, Hippokrates, hat sich mit der methodischen Typologie auseinandergesetzt und uns mit dem Choleriker, dem Sanguiniker, dem Melancholiker und dem Phlegmatiker beglückt. Als wäre es so einfach die Komplexität des Menschen auf vier Gruppen reduzieren zu können. Auch in der Schweiz hat man sich mit diesen Pseudowissenschaften stark beschäftigt. Der berühmt-berüchtigte Schweizer Pfarrer, Johann Caspar Lavater, schrieb das umfangreiche Werk ‚Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe’ und wollte mit seinen Schattenbildern die Genies von den Doofen unterscheiden können. Heute würde man ihm wahrscheinlich eine psychiatrischen Examination angedeihen lassen, um seine geistige Gesundheit zu prüfen. Sicher wäre er in der Klapsmühle gelandet.
Die Schweiz spielt in diesem pseudopsychologischen Schattenreich ungeprüfter Fakten nach wie vor eine gewisse Rolle. An der Carl-Huter-Akademie und an der Physiognomischen Gesellschaft Schweiz (PGS), beide Institutionen befinden sich in Zürich, gibt es Ausbildungsmöglichkeiten und Studiengänge, um sich in Physiognomie ausbilden lassen zu können. Die fertig ausgebildeten ‚Gesichtsexperten’ werden dann zum Beispiel auch in Selektionsverfahren bei Rekrutierungen beigezogen.
Ach ja was hat es eigentlich auf sich mit der sogenannten ‚Width-to-Heigth-Ratio’? Ganz einfach: Je breiter der Schädel ist, desto durchsetzungsfähiger ist der Besitzer dieser Kopfform. Wie war das mit Cäsar?
Bedenklich wird es dann, wenn solch obskure und lächerliche ‚Wissenschaften’ ernsthaft bei anspruchsvollen Personalrekrutierungsprozessen von Führungspersonen angewendet werden. Menschenkenntnis zu systematisieren ist nach wie vor unmöglich. Oder wirkt das sanftmütige Antlitz von Albert Einstein, notabene ein hochgescheiter Kopf, nun besonders intelligent?
Kürzlich ist zum Thema ‚Physiognomik’ in der NZZ (Neue Zürcher Zeitung) ein umfangreicher Artikel von Simone Schmid erschienen. Mit diesem LINK kommen Sie gleich zum sehr interessanten Inhalt. Auch das Interview, das im Nachrichtenmagazin Der Spiegel mit Uwe Kanning erschien, ist hochspannend zum Lesen. Mit diesem LINK kommen Sie direkt zu diesem Beitrag. Das Interview wurde von Bärbel Schwertfeger geführt.
Die Gesichts- und Schädeldeuter kann man getrost zur Spezies der Spinner zählen. Deren Erkenntnis löst Heiterkeit aus. Den Rest kann man spülen.