Die moderate Einwanderung kluger Köpfe ist für die Schweiz unverzichtbar.
Wenn die Wirtschaft brummt und es an allen Ecken und Enden an Fachkräften mangelt, dann ist die logische Konsequenz, dass man gut qualifizierte Kräfte aus dem Ausland rekrutiert oder der Boom zur Krise wird. Vielleicht gibt es auch noch einen Zwischenboden.
In den 60er Jahren stand die Schweiz unter einem enormen Einwanderungsdruck. Strassen, Spitäler, Schulen und Wohnungen mussten in Rekordzeit aus dem Boden gestampft werden, damit allen Menschen, die zusätzlich in die Schweiz strömten, um das Wirtschaftswachstum gemeinsam mit den Einheimischen bewältigen zu können, die passende Infrastruktur zur Verfügung stand.
Ohne diesen ausserordentlichen Effort aller Beteiligten, wäre die heutige Schweiz nicht das, was sie nun mal ist: Ein ausserordentlicher Erfolg.
Viele Arbeitsmigranten/-innen haben an diesem mitgearbeitet, die später bei uns blieben und deren Kinder an der Weiterentwicklung des Staatswesens und der Volkswirtschaft nach wie vor beteiligt sind. Schon der bekannte Schweizer Schriftsteller Max Frisch schrieb einmal die berühmten Worte: ‚Wir riefen Arbeitskräfte. Es kamen Menschen.‘
Auch zu jener Zeit war die sogenannte Überfremdung ein grosses Thema.
Viele Schweizer/-innen fühlten sich bedrängt aufgrund der starken Einwanderung von Gastarbeitern/-innen aus Südeuropa. Die sogenannte Überfremdung der helvetischen Gesellschaft wurde zu einem geflügelten Ausdruck und beherrschte die täglichen Diskussionen und Schlagzeilen. Der damalige am rechten Rand politisierende Nationalrat James Schwarzenbach und sein rühriger Sekundant, Ulrich Schlüer, ehemaliger Nationalrat der SVP, lancierten die Überfremdungsinitative. Bei Annahme hätte sie zur Folge gehabt, dass wenige Wochen später ein grosser Teil ausländischer Arbeitskräfte das Land hätten verlassen müssen.
Die Initiative, nota bene waren die Frauen damals noch nicht stimmberechtigt, wurde mit 54% abgelehnt. Instinktiv wusste eine knappe männliche Mehrheit, dass wenn diese Initiative angenommen wird, die Wirtschaft zum Erliegen kommt und der vermeintliche Vorteil der Wegweisung eines grossen Teils der ausländischen Arbeiter/-innen, zum grossen Nachteil der Zurückgebliebenen führen wird. Die ökonomische Vernunft siegte damals über obskure Vorurteile, blanken Fremdenhass und diffuse Ängste vieler, die wohl wussten, dass eine Annahme der Initiative keine Lösung ist, aber es auch keine Lösung sein konnte am Status quo festzuhalten.
Die Schweiz bleibt auch im 21. Jahrhundert sexy.
Es sind inzwischen nicht nur die Baufachleute, die aus Südeuropa kommen, sondern Menschen aus der ganzen Welt, die mit ihren vielfältigen beruflichen Fähigkeiten dafür sorgen, dass die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes herausragend ist und auch bleibt. Ohne die Unterstützung von ausländischem Fachpersonal, zum Beispiel aus den Bereichen Medizin, Naturwissenschaft, Forschung, Maschinenbau, Softwareentwicklung, Engineering und Telekommunikation könnten wir den Schlüssel drehen und nach Hause gehen. Nichts würde mehr laufen und die Schweiz auf ein gefährliches Mittelmass absinken.
Die Wirtschaft läuft, trotz des sehr starken Schweizer Frankens, nach wie vor ausgezeichnet.
Das macht das Land hoch attraktiv, trotz der kränkelnden EU Nachbarschaft. Viele europäische Staaten sind hoch verschuldet und das bei anhaltend leeren Kassen. Viele gute ausländische Fachkräfte fühlen sich daher magisch von den soliden Werten der Schweiz angezogen:
- Die steuerliche Belastung ist vernünftig,
- die Gehälter sind anständig,
- der Lebensstandard ist überdurchschnittlich hoch,
- die Infrastruktur funktioniert selbst dann noch tadellos, wenn sie stark beansprucht wird und
- mit den Einheimischen, auch wenn sie manchmal mürrisch, knorrig und abweisend wirken, kann man gut zusammen leben.
Selbst die tiefen Wunden der vergangenen globalen Finanz- und Wirtschaftskrisen konnten der Schweiz nicht viel anhaben. Sie sind gut verheilt und systemrelevante Wirtschaftsbereiche konnten stabilisiert werden. Es läuft wie ein gut geschmiertes Butterbrot.
Trotzdem stimmt nicht alles. Doch was ist los in diesem Land?
Kritische Stimmen aus dem wertkonservativen wie auch progressiven Politlager äussern sich über das Wachstum der Bevölkerung immer kritischer. Die einen äussern sich ungeniert bis unverhohlen fremdenfeindlich, die anderen nett verpackt, streng darauf erpicht den Anstand im Detail zu wahren, aber in der Sache deckungsgleich und genauso schonungslos. Die liberale Einwanderungspolitik ist unter Beschuss. Angeblich verursacht die Einwanderung nur
- Wohnungsnot,
- Umweltbelastung,
- Identitätsverlust und
- eine schleichende Aufweichung helvetischer Selbstbefindlichkeit.
Alles hat auch ein Spiegelbild
Der freie Personenverkehr hat auch einen reziproken Wert. Junge Menschen können viel einfacher an europäischen Universitäten studieren und das Arbeiten in Europa ist auch für Schweizer Bürger/-innen unkomplizierter geworden. Die nonchalante Zulassung der forcierten Einwanderung ist sicher keine Lösung. Irgendwann wird dieses Land aufgrund seiner Bevölkerungsdichte an seine Grenzen stossen. Der nicht abreissende Berufsverkehr und die grossen Menschenmassen in den Bahnhöfen während der ‚Rush Hour’ lassen ahnen, dass unsere Infrastruktur die schiere Menge an Menschen nicht mehr in der gleichen Zuverlässigkeit bedienen kann, wie wir uns das vielleicht so gewohnt sind. Der Arbeitsmarkt kann aber auf eine Reduktion nicht so verzichten.
Eine dezidierte Wissensgesellschaft ist nun mal auf kluge Köpfe angewiesen und braucht diese immer mehr, um den wachsenden Ansprüchen einer modernen Volkswirtschaft gerecht zu werden.
Aber auch andere Aufgaben können ohne Fachpersonal aus dem Ausland nicht mehr bewältigt werden. Ohne das medizinische Spitzenpersonal aus dem Ausland zum Beispiel, könnten wir in diesem Land nie eine medizinische Grundversorgung auf einem so hohen Niveau halten. Auch die Forschung ist auf ausländische Brillanz angewiesen. Bereichsübergreifende Forschung ist schon lange globalisiert. Selbst die Bauwirtschaft, ist diese auch noch so auf einem hohen Wirkungsgrad an Effizienz, kann auf ausländische Arbeitskräfte verzichten. Würde sie es tun wird es bald still auf den Baustellen. Suchen sie mal genügend Metzger in diesem Land. Die fleischverarbeitende Industrie käme sofort ins Strudeln, müsste sie zum Beispiel auf die deutschen Metzger verzichten.
Die Lebenserwartung steigt. Warum erhöhen wir nicht auch die Lebensarbeitszeit?
Die Erhöhung des Rentenalters ist für viele Politiker/-innen ein heisses Pflaster. Noch mehr arbeiten in einer Arbeitswelt voller Stress und Druck? Nichtsdestotrotz zeigen die Lebenserwartungstabellen der Lebensversicherer klar auf, dass die Lebenszeit markant steigt und die Menschen immer gesünder alt werden. Viele ältere Arbeitnehmende gehen mit 64 (Frauen) oder 65 (Männer) in die Pension. In der Realität gibt es eine erkleckliche Anzahl, die früher in den Ruhestand gehen. Warum lassen wir diese erfahrenen Berufsleute, sofern sie das auch wünschen, nicht länger arbeiten?
Die gnadenlose Realität der Demografie wird uns früher oder später sowieso dazu zwingen. Denn die Überalterung der europäischen Gesellschaften ist keine akademische Diskussion mehr, sondern eine beinharte Tatsache. Europa stirbt und schrumpft.
Selbst eine staatlich geförderte Migration könnte zum Beispiel die Schrumpfung Deutschlands nicht mehr aufhalten. Zudem werden die Altersrente beziehenden Pensionäre/-innen das Sozialversicherungswesen mehr in Anspruch nehmen, als die Jungen es finanzieren können. Mit anderen Worten kann und muss dieser Prozess mit einer verlängerten Lebensarbeitszeit verzögert werden. Ansonsten sind die Kassen bald leer oder können nur mit fiskalischen Massnahmen gesichert werden. Das bewirkt aber auch, dass mit der verlängerten Lebensarbeitszeit auch die Einwanderung gedämpft werden kann. Somit kann dem Wissenstransfer von alt zu jung noch mehr Zeit eingeräumt werden und die in Zukunft frei werdende Stelle kann intern mit einem Arbeitnehmenden besetzt werden, der schon hier arbeitet, Steuern bezahlt und niedergelassen ist.
Auch das wirtschaftliche Wertschöpfungspotenzial der Frauen ist nach wie vor nicht genug ausgeschöpft.
Das zuwenig Vorhandensein von wirtschafts- und familienfreundlichen pädagogischen Einrichtungen, die sich während der Berufszeit der Mütter um den Nachwuchs kümmern, ist nach wie vor unbefriedigend. Exorbitante Kita-Tarife zehren oft das Zweiteinkommen, das meistens von Frauen in Teilzeit erzielt wird, schnell auf, sodass sich eine prohibitive Situation einstellt, die den wirtschaftlichen Reiz einer Erwerbsarbeit in Frage stellt und eine Berufstätigkeit absurd macht. Solche Situationen sind natürlich ein dummes Ärgernis. Die Frauen sind immer besser ausgebildet und für eine Wirtschaft unverzichtbar geworden. Diese Frauen und Mütter sind schon da und niedergelassen. Warum werden nicht vermehrt Strukturen angeboten, die Familien- und Berufsarbeit besser vereinbaren lassen? Zudem ist es sich auch zu überlegen, ob Teilzeit arbeitende Väter, die Arbeitsmarktfähigkeit der Mütter nicht erhöhen. Dazu braucht es aber Arbeitgeber, die das auch möglich machen und mit einer aufgeschlossenen Arbeitsmodellpolitik punkten können.
Die mutige Erhöhung des Rentenalters, auch wenn das ein Tabuthema ist, und die prononcierte Einbindung der Frauen in die Wirtschaft werden die Einwanderung dämpfen und die Bevölkerungsdichte auf ein erträgliches Mass halten.
Die Einwanderung einfach aus ideologischen, xenophoben oder sogar ökologischen Gründen zu unterbinden ist natürlich eine dirigistische Massnahme, die wirtschaftliche und auch politische Folgen haben wird. Dieses Land braucht kluge Köpfe. Es waren gerade die ausländischen Arbeitskräfte, die als Menschen immer wieder diesem Land herausragende neue Impulse schenkten und dafür mitsorgten, dass die Schweiz eine Erfolgsgeschichte blieb. Viele beneiden uns dafür.