Nov 12

Sind Frauen und Senior:innen, die Lösung gegen den Arbeitskräftemangel?

Author: PersonalRadar

Die Schweiz steht vor einer beispiellosen Herausforderung auf dem Arbeitsmarkt, die das Potenzial hat, die wirtschaftliche Landschaft des Landes grundlegend zu verändern.

Der prognostizierte Arbeitskräftemangel bis 2035 ist nicht nur ein abstraktes Zukunftsszenario, sondern eine reale Bedrohung für den Wohlstand und die wirtschaftliche Dynamik der Eidgenossenschaft. Diese Entwicklung erfordert ein Umdenken in vielen Bereichen und bietet gleichzeitig die Chance für innovative Lösungen und gesellschaftlichen Wandel.

(Bildquelle: www.freepik.com)

Der demografische Wandel als treibende Kraft

Im Zentrum der Problematik steht der demografische Wandel. Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation treten in den Ruhestand, während die nachrückende Generation Z zahlenmässig deutlich kleiner ausfällt. Diese Verschiebung in der Altersstruktur der Bevölkerung hat weitreichende Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Es entsteht eine Lücke zwischen der Anzahl der verfügbaren Arbeitskräfte und dem Bedarf der Wirtschaft, die sich in den kommenden Jahren kontinuierlich vergrössern wird.

Die Auswirkungen dieses Wandels sind vielschichtig. Einerseits verliert die Wirtschaft erfahrene Fachkräfte, deren Wissen und Expertise nicht ohne Weiteres ersetzt werden können. Andererseits steigt der Druck auf die jüngere Generation, diese Lücke zu füllen und gleichzeitig mit den sich rasch wandelnden Anforderungen der modernen Arbeitswelt Schritt zu halten. Dies stellt nicht nur eine Herausforderung für die Unternehmen dar, sondern auch für das Bildungssystem und die Sozialsysteme der Schweiz.

Inländisches Potenzial als Schlüssel zur Lösung

Angesichts dieser Entwicklung rückt die bessere Nutzung des inländischen Arbeitskräftepotenzials in den Fokus. Insbesondere zwei Gruppen stehen dabei im Mittelpunkt: Frauen, vor allem Mütter, und ältere Arbeitnehmende über 65 Jahre. Hier sehen Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse und der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) erhebliches Potenzial, das bisher nicht ausgeschöpft wurde.

Für Frauen und Mütter geht es vor allem darum, Barrieren abzubauen, die einer höheren Erwerbsbeteiligung im Wege stehen. Dies umfasst die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch flexible Arbeitsmodelle, den Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur und die Beseitigung steuerlicher Fehlanreize, die insbesondere Zweitverdienende benachteiligen.

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Die Wirtschaft schätzt, dass durch gezielte Massnahmen in diesem Bereich rund 48’000 zusätzliche Vollzeitstellen besetzt werden könnten. Bei den älteren Arbeitnehmenden liegt der Fokus darauf, ihre Erfahrung und ihr Wissen länger für den Arbeitsmarkt zu erhalten. Dies erfordert ein Umdenken in Bezug auf Altersbilder in der Arbeitswelt, die Schaffung altersgerechter Arbeitsplätze und die Förderung von Weiterbildungsmöglichkeiten für ältere Mitarbeitende. Die Wirtschaftsverbände gehen davon aus, dass 65- bis 69-Jährige potenziell rund 37’000 zusätzliche Vollzeitstellen besetzen könnten.

Produktivitätssteigerung als Schlüssel zum Erfolg

Neben der besseren Nutzung des inländischen Arbeitskräftepotenzials spielt die Steigerung der Produktivität eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung des Arbeitskräftemangels. Investitionen in Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz können dazu beitragen, mit weniger Arbeitskräften mehr zu erreichen.

Die Schweiz muss sich an die Spitze der technologischen Innovation setzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und auszubauen. Dies erfordert nicht nur Investitionen in Forschung und Entwicklung, sondern auch eine Bildungsoffensive, um die Arbeitnehmenden mit den notwendigen Fähigkeiten für die Arbeitswelt von morgen auszustatten.

Lebenslanges Lernen und kontinuierliche Weiterbildung werden zu Schlüsselkonzepten für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft. Die Wirtschaftsverbände schätzen, dass durch Produktivitätssteigerungen die Arbeitsnachfrage um knapp 63’000 Beschäftigte sinken könnte, wenn die Schweiz ein Produktivitätswachstum wie das der USA in den vergangenen Jahren erzielen könnte. Dies zeigt das enorme Potenzial, das in diesem Bereich liegt.

Die Rolle der Zuwanderung

Trotz aller Bemühungen zur Ausschöpfung des inländischen Potenzials und zur Steigerung der Produktivität kommen die Wirtschaftsverbände zu dem Schluss, dass an einer verstärkten Zuwanderung kein Weg vorbeiführt.

Die Personenfreizügigkeit mit der EU hat bisher dazu beigetragen, den Fachkräftebedarf zu decken, doch angesichts der prognostizierten Lücke von 460’000 Vollzeitbeschäftigten bis 2035 wird eine noch stärkere Zuwanderung als notwendig erachtet.

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Dies stellt die Schweiz vor erhebliche Herausforderungen. Einerseits ist die Zuwanderung ein politisch sensibles Thema, das in der Bevölkerung auf Vorbehalte stösst. Andererseits ist sie für die Wirtschaft von entscheidender Bedeutung, um Wachstum und Wohlstand zu sichern. Es gilt, einen Weg zu finden, der sowohl den wirtschaftlichen Notwendigkeiten Rechnung trägt als auch gesellschaftlich akzeptabel ist.

Herausforderungen und Chancen

Die Bewältigung des prognostizierten Arbeitskräftemangels erfordert ein ganzheitliches Vorgehen und die Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Akteur:innen.

  • Unternehmen müssen ihre Personalpolitik konsequent überdenken und unbedingt flexibler gestalten, um attraktiv für ein breiteres Spektrum von Arbeitnehmern zu sein.
  • Die Politik ist gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, sei es durch Steuerreformen, den Ausbau der Kinderbetreuung oder die Förderung von Weiterbildungsmöglichkeiten.

Gleichzeitig bietet diese Herausforderung auch Chancen für Innovation und gesellschaftlichen Fortschritt. Die Notwendigkeit, mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, kann zu einer inklusiveren Arbeitswelt führen, in der Diversität und Chancengleichheit eine grössere Rolle spielen. Die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann zu einer ausgewogeneren Work-Life-Balance für alle Arbeitnehmer beitragen.

Die Digitalisierung und Automatisierung, die zur Produktivitätssteigerung beitragen sollen, bergen das Potenzial, Arbeitsprozesse effizienter und menschenfreundlicher zu gestalten. Sie können repetitive und belastende Tätigkeiten übernehmen und so Raum für kreativere und erfüllendere Aufgaben schaffen.

Fazit und Ausblick

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Der prognostizierte Arbeitskräftemangel, das schleckt keine Geiss weg, stellt die Schweiz vor eine gewaltige Herausforderung, die nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Massnahmen bewältigt werden kann. Die bessere Nutzung des inländischen Arbeitskräftepotenzials, insbesondere von Frauen und älteren Arbeitnehmern, die Steigerung der Produktivität durch technologische Innovation und eine gesteuerte Zuwanderung sind die Schlüssel zur Lösung. Es wird entscheidend sein, dass alle Beteiligten – Unternehmen, Politik und Gesellschaft – an einem Strang ziehen und bereit sind, etablierte Strukturen und Denkweisen zu hinterfragen. Nur so kann die Schweiz ihre Position als eine der führenden Volkswirtschaften der Welt sichern und gleichzeitig eine lebenswerte und inklusive Gesellschaft bleiben.

Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Schweiz in der Lage ist, diese Herausforderung als Chance zu nutzen und gestärkt aus ihr hervorzugehen. Es wird ein Balanceakt sein zwischen wirtschaftlichen Notwendigkeiten und gesellschaftlichem Zusammenhalt, zwischen Tradition und Innovation, zwischen nationalen Interessen und internationaler Öffnung. Doch gerade in dieser Komplexität liegt auch die Chance, neue Wege zu beschreiten und Lösungen zu finden, die als Vorbild für andere Länder dienen können, die vor ähnlichen demografischen Herausforderungen stehen. Die Zukunft der Schweizer Arbeitswelt wird massgeblich davon abhängen, wie gut es gelingt, die verschiedenen Ansätze zu einem kohärenten Gesamtkonzept zu vereinen.

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Es wird nicht ausreichen, sich auf einzelne Massnahmen zu konzentrieren. Vielmehr bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes, der die Förderung des inländischen Potenzials, die Steigerung der Produktivität und eine kluge Zuwanderungspolitik miteinander verbindet. In diesem Prozess wird es auch darum gehen, den gesellschaftlichen Dialog zu fördern und alle Teile der Bevölkerung mitzunehmen. Nur wenn die Notwendigkeit der Veränderungen verstanden und akzeptiert wird, können die erforderlichen Massnahmen erfolgreich umgesetzt werden.

Dies erfordert Transparenz, offene Kommunikation und die Bereitschaft, auch unbequeme Wahrheiten anzusprechen. Die Schweiz steht vor einer Weichenstellung, die ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft für Jahrzehnte prägen wird. Es liegt an allen Beteiligten, diese Herausforderung anzunehmen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die den Wohlstand sichern und gleichzeitig die Lebensqualität für alle Bürger:innen verbessern.