Aug 12

Anonyme Anschuldigungen: Ein System ausser Kontrolle.

Autor: PersonalRadar

In der Arbeitswelt hat sich ein alarmierender Trend etabliert: Anonyme Anschuldigungen gegen Mitarbeitende, die ohne transparente Beweise zu internen Untersuchungen führen.

Diese Praxis, die als Schutzmassnahme gedacht ist, mutiert zunehmend zu einem Instrument der Willkür und Angst.

Die verheerenden Konsequenzen

Ein anonymes Beschwerdesystem öffnet Türen für Missbrauch und Verleumdung. Es ermöglicht jedem, unbegründete Vorwürfe zu erheben, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Beschuldigte stehen dann vor der Herausforderung, sich gegen nebulöse Anschuldigungen zu verteidigen, was oft ihre berufliche Existenz bedroht.

 

(Bildquelle: www.freepik.com)

Ein anschauliches Beispiel ist folgendes Beispiel: ein Mann, den wir an dieser Stelle Kurt nennen, wurde eines Tages unvermittelt von der Personalabteilung beschuldigt, eine Kollegin belästigt zu haben. Ohne konkrete Details oder die Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen, steht er nun vor der Bedrohung seiner Existenz. Ihm wurden weder die genauen Vorwürfe noch die Identität der Beschwerdeführerin mitgeteilt. Diese Art von Verdachtskündigung kann selbst dann ausgesprochen werden, wenn sich die Anschuldigungen später als falsch erweisen.

Verdachtskündigungen sind im Arbeitsrecht gängige Praxis und können auch dann ausgesprochen werden, wenn sich die Anschuldigungen als falsch herausstellen. Die Betroffenen sind gezwungen, ihren Arbeitsplatz zu verlassen und ihren Ruf zu verteidigen, ohne jemals die Möglichkeit gehabt zu haben, sich angemessen zu rechtfertigen. Dies kann nicht nur die Karriere zerstören, sondern auch das persönliche Leben erheblich beeinträchtigen.

Ein rechtsfreier Raum

Interne Untersuchungen operieren in einem rechtsfreien Raum, in dem grundlegende Prinzipien der Fairness fehlen. Das höchste Gericht der Schweiz hat entschieden, dass die gleichen Garantien, die im Strafrecht gelten, in diesen Untersuchungen nicht anwendbar sind. Das bedeutet, dass die Betroffenen kein Recht auf Akteneinsicht oder die Kenntnis der Identität ihrer Ankläger haben. Diese undurchsichtigen Verfahren geben den Unternehmen die Möglichkeit, schnell und ohne Rücksicht auf die Rechte des Einzelnen zu handeln.

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Besonders besorgniserregend ist diese Praxis bei Vorwürfen sexueller Belästigung. Hier scheint die Regel zu gelten: Wenn sich jemand unwohl fühlt, hat er automatisch recht. Diese Vorverurteilung ignoriert häufig die Realität der Situation und führt zu ungerechtfertigten Konsequenzen für die Beschuldigten. Solche Praktiken gefährden nicht nur die Karrieren unschuldiger Personen, sondern auch die Glaubwürdigkeit echter Vorwürfe, die unter einem solchen System an Gewicht verlieren können.

Urteil des Bundesgerichts:

Am 19. Januar 2024 wurde entschieden, dass interne arbeitsrechtliche Untersuchungen nicht den gleichen Schutz wie Strafverfahren bieten. In solchen Fällen haben Betroffene keinen Anspruch darauf, die Akten einzusehen, den Ankläger zu kennen oder sich rechtlich beraten zu lassen. Diese Verfahren sind intransparent und können für die Betroffenen, insbesondere wenn sie keine Schuld tragen, zu einem Albtraum werden. Mit dem folgenden Link geht es gleich zum Urteil: BG 4A_368/2023

Die Angstkultur im Unternehmen

Diese Praktiken haben eine Kultur der Angst in Unternehmen geschaffen. Mitarbeitende schweigen aus Furcht vor anonymen Anschuldigungen, während Führungskräfte aus Angst vor öffentlichem Druck nicht eingreifen. Die Angst vor öffentlichen Empörung und medialen Shitstorms lähmt die Entscheidungsfähigkeit vieler Manager und führt dazu, dass sie im Zweifelsfall gegen den beschuldigten Mitarbeiter entscheiden, selbst wenn die Vorwürfe unbegründet erscheinen.

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Diese Atmosphäre der Unsicherheit und der Verdächtigungen führt zu einer Verschlechterung der Arbeitsmoral und Zusammenarbeit. Anstatt ein Umfeld zu fördern, in dem offen und ehrlich kommuniziert werden kann, entsteht eine Kultur des Misstrauens. Mitarbeitende ziehen es vor, sich bedeckt zu halten und Konflikte zu vermeiden, aus Angst, das nächste Ziel einer anonymen Beschwerde zu werden.

Experten kritisieren die Entwicklungen scharf und warnen vor den totalitären Zügen, die das System angenommen hat. Die Bereitschaft, bei jeder noch so vagen Beschwerde eine Untersuchung einzuleiten, zeigt einen Verlust des gesunden Menschenverstands und eine gefährliche Verschiebung in Richtung eines autoritären Umgangs mit Mitarbeitenden. Die Arbeit in einem solchen Umfeld wird nicht nur schwieriger, sondern auch psychisch belastender.

Die Forderung nach Reformen

Um das Vertrauen in interne Untersuchungen und Gerechtigkeit am Arbeitsplatz wiederherzustellen, müssen diese Systeme dringend reformiert werden. Anonyme Anschuldigungen sollten nicht länger ausreichen, um schwerwiegende Konsequenzen für die Betroffenen zu rechtfertigen. Eine transparente und faire Behandlung aller Mitarbeitenden muss sichergestellt werden, um die Integrität und Moral innerhalb der Unternehmen zu schützen.

Es ist an der Zeit, dass Unternehmen mutigere Schritte unternehmen, um das System zu reformieren und ein Umfeld zu schaffen, in dem sowohl die Rechte der Beschuldigten als auch die der Opfer gewahrt bleiben. Nur durch transparente Prozesse und das Einbeziehen aller Parteien kann ein fairer und gerechter Arbeitsplatz entstehen, der Angst und Willkür keinen Raum lässt.

Ohne Reformen wird das Misstrauen in diese Systeme weiter wachsen, und der Preis wird sowohl von den Betroffenen als auch von den Unternehmen getragen, die ihre Kultur und Zusammenarbeit durch Angst und Willkür gefährden. Unternehmen müssen erkennen, dass sie nicht nur für ihre wirtschaftliche Leistung verantwortlich sind, sondern auch für das Wohl ihrer Mitarbeitenden und das soziale Klima, das sie fördern.