Darf der Arbeitgeber die Temperatur im Büro auf 19 Grad begrenzen?
Der Bundesrat hat zahlreiche Massnahmen beschlossen, damit die Schweiz ihre Energieversorgung für den Winter rasch stärken kann (Autor: Dr. iur. Alex Ertl, Rechtsanwalt, CAS Arbeitsrecht, E.M.B.L.-HSG)
«Energie ist knapp. Verschwenden wir sie nicht.» Das ist die Hauptbotschaft der landesweiten Kampagne, die bis April 2023 laufen soll.
Die Arbeitgeberin hat gestützt auf das Obligationenrecht die Pflicht, auf die Gesundheit der Mitarbeitenden gebührend Rücksicht zu nehmen. Sie hat hierfür gemäss Arbeitsgesetz grundsätzlich alle zumutbaren Massnahmen zu treffen. Doch was bedeutet dies konkret hinsichtlich Raumtemperatur?
Auch mithilfe der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz kommen wir der Sache nicht näher. Hiernach sind nämlich «sämtliche Räume ihrem Verwendungszweck entsprechend ausreichend natürlich oder künstlich zu lüften. Raumtemperatur, Luftgeschwindigkeit und relative Luftfeuchtigkeit sind so zu bemessen und aufeinander abzustimmen, dass ein der Gesundheit nicht abträgliches und der Art der Arbeit angemessenes Raumklima gewährleistet ist».
Hilfreich ist die Wegleitung des Seco zu dieser Verordnung 3. Dort wird nämlich ersichtlich, dass bspw. für sitzende Bürotätigkeit im Winter eine Lufttemperatur von 21 bis 23 °C als gesund gilt.
Arbeitsphysiologisch gute Bereiche für Lufttemperaturen:
Lufttemperatur (°C) Arbeitstätigkeit
21 – 23°C Büroarbeit / sitzende Tätigkeit / kalte Jahreszeit, Winter, «Heizperiode»
23 – 26°C Büroarbeit / sitzende Tätigkeit / warme Jahreszeit, Sommer, «Kühlperiode»
18 – 21°C Stehend und gehend, leichte bis mittelschwere Arbeit (z. B. Kommissionierung)
16 – 19°C Mittelschwere körperliche Arbeit (Montage)
Die Unternehmen sind nun verständlicherweise verunsichert, da einerseits im Namen des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmenden Vorgaben bestehen, die Energie erfordern, andererseits Energie gespart werden soll. Nach Konsultation der Sozialpartner hat das Seco am 24. Oktober 2022 nun ein Merkblatt veröffentlicht, welches Hinweise auf den Spielraum der Betriebe geben soll.
Das Seco ist der Ansicht, dass der im Arbeitsgesetz bzw. in der Arbeitsverordnung vorgesehene Spielraum bei sitzender Tätigkeit in einem Büro (21 bis 23°C im Winter) den Sparappellen des Bundesrates nicht entgegensteht. Es obliege weiterhin dem Arbeitgeber, geeignete Massnahmen zu finden und umzusetzen sowie die Arbeitnehmenden miteinzubeziehen.
Im Merkblatt wird auf den allgemeinen minimalen Richtwert von 21°C im Winter für Arbeitsplätze, an denen sitzend gearbeitet wird, hingewiesen. Grundsätzlich sei es möglich, von diesen Richtwerten je nach Situation oder für eine beschränkte Zeit abzuweichen, wenn im Einzelfall der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz nach wie vor gewährleistet ist. Massgeblich für diese Beurteilung seien die Art der Tätigkeit und die konkreten Bedingungen vor Ort. Besondere Rücksicht sei auf kälteempfindliche Personen wie Schwangere, Jugendliche oder ältere Mitarbeitende zu nehmen.
Gemäss WHO sind 18°C in Innenräumen medizinisch unbedenklich (s. NZZ-Artikel vom 10. November 2022 zum Thema, welche Raumtemperatur noch gesund sei).
Hieraus folgt, dass die Arbeitgeberin die Temperatur grundsätzlich auf 19°C senken darf, da diese Temperatur für die Arbeitnehmenden gemäss WHO gesundheitlich unbedenklich ist und dabei die Pflicht der Arbeitgeberin, auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden zu achten, erfüllt wird. Besondere Rücksicht muss der Arbeitgeber jedoch auf die oben erwähnten Personengruppen nehmen. Denkbar wäre, dass diese Personen sich einen Raum teilen und letzterer höher temperiert wird.
Wir empfehlen somit den Mitarbeitenden, für den kommenden Winter immer eine zusätzliche Kleidungsschicht dabei zu haben und regelmässig aufzustehen, um den Blutkreislauf in Schwung zu bringen, sollte das Unternehmen sich dazu entschliessen dem Aufruf des Bundesrat zu folgen und die Raumtemperatur der Büroräumlichkeiten zu senken.
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