Dez 3

Gleichstellungsgesetz: Die versteckte Waffe im Arbeitsrecht

Author: PersonalRadar

Im komplexen Biotop des Arbeitsrechts wiegen sich viele Arbeitgebende in trügerischer Sicherheit. Sie glauben, das Risiko bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten sei überschaubar und kalkulierbar. Schliesslich begrenzt das Obligationenrecht in Artikel 336a Absatz 2 den maximalen Schadenersatz bei missbräuchlichen Kündigungen auf sechs Monatslöhne.

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Doch diese vermeintliche Sicherheit kann sich als fataler Irrtum erweisen, wie ein aktueller Fall aus der schweizerischen Medienbranche eindrucksvoll zeigt. Was viele Arbeitgebende nicht auf dem Schirm haben: Es gibt eine Ausnahme, die die Spielregeln fundamental ändert.

Wenn eine Kündigung im Zusammenhang mit einer Beschwerde ausgesprochen wird, die unter das Gleichstellungsgesetz fällt, ist der Schadenersatz plötzlich nach oben offen. Diese wenig bekannte Regelung kann für Unternehmen zu einem finanziellen Albtraum werden.

Der Fall einer langjährigen Redakteurin bei einem schweizerischen Medienhaus illustriert dies eindrücklich. Was auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Kündigung aussah, entpuppte sich als juristisches Minenfeld. Die Mitarbeiterin hatte zuvor eine interne Beschwerde eingereicht, in der sie ihrem Vorgesetzten Mobbing und sexuelle Belästigung vorwarf. Diese Beschwerde fiel unter das Gleichstellungsgesetz – und veränderte die rechtliche Situation grundlegend. Das Arbeitsgericht Zürich kam zu dem Schluss, dass die Kündigung aufzuheben sei.

Das Gleichstellungsgesetz bietet einen besonderen Schutz: Nach Artikel 10 Absatz 2 geniesst eine Klägerin bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens und sechs Monate darüber hinaus Kündigungsschutz. In dem oben beschriebenen Fall wurde der Schutz sogar verdoppelt, da die Mitarbeiterin zusätzlich ein Schlichtungsgesuch beim Friedensrichteramt eingereicht hatte.

Die Umkehr der Beweislast und die finanziellen Konsequenzen

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Für Arbeitgebende besonders tückisch ist die Umkehr der Beweislast in solchen Fällen. Das Medienhaus hätte vor Gericht belegen müssen, dass die Kündigung nicht aus Rache erfolgte. Dies gelang im vorliegenden Fall nicht. Auch der Vorwurf, die Mitarbeiterin habe Unruhe in die Redaktion gebracht, wurde vom Gericht als zu pauschal zurückgewiesen. Die finanziellen Konsequenzen dieses Urteils sind weitreichend.

Die Mitarbeiterin hat Anspruch auf mindestens 33 Monatslöhne – und dieser Anspruch wächst mit jedem Tag, an dem das Verfahren andauert. Für das Medienhaus, das das Urteil anfechten will, könnte dies zu einer kostspieligen Angelegenheit werden. Der Fall zeigt eindrucksvoll, wie das Gleichstellungsgesetz die Machtverhältnisse im Arbeitsrecht verschieben kann. Selbst ein Medienkonzern, mit einem Jahresumsatz von fast einer Milliarde Franken und einem Jahresgewinn von über CHF 60 Millionen, sieht sich plötzlich in der Defensive. Das Gesetz erweist sich als mächtiges Instrument, um Diskriminierung und Benachteiligung am Arbeitsplatz zu bekämpfen.

Die Hintergründe des Falls und seine Bedeutung für die #MeToo-Bewegung

Dieser Fall hat nicht nur arbeitsrechtliche, sondern auch gesellschaftliche Relevanz. Diese Journalistin war rund zwanzig Jahre lang für dieses Medienhaus tätig. Im Frühjahr 2023 überraschte sie die Öffentlichkeit mit schweren Vorwürfen gegen ihren langjährigen Vorgesetzten. In einem mehrseitigen Gastbeitrag warf sie ihm vor, er habe auf der Redaktion ein ‘Regime des Mobbings’ installiert und sie mit sexualisierter Sprache systematisch erniedrigt.

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Dieser Fall markierte den ersten grossen #MeToo-Fall in der schweizerischen Medienszene und löste eine breite Debatte über Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung aus. Die Tatsache, dass sie ihre Vorwürfe bereits im Frühjahr 2021 intern vorgebracht hatte, wirft zudem Fragen über den Umgang von Unternehmen mit solchen Beschwerden auf. Das Arbeitsgericht Zürich musste in seinem Urteil nicht prüfen, ob ihre Vorwürfe zutreffend sind. Allein die Geltendmachung in Form einer schriftlichen Beschwerde genügte, um sie unter den Schutzschirm des Gleichstellungsgesetzes zu stellen. Dies unterstreicht die Bedeutung des Gesetzes als Instrument zum Schutz von Arbeitnehmenden, die Diskriminierung oder Belästigung am Arbeitsplatz erfahren.

Die Lehren für Arbeitgebende und die Zukunft des Arbeitsrechts

Dieser Fall ist ein Weckruf für Arbeitgebende und Personalverantwortliche. Er zeigt, dass das Gleichstellungsgesetz weit mehr ist als ein gut gemeintes Stück Papier. Es ist ein scharfes Schwert, das die Machtverhältnisse im Arbeitsrecht grundlegend verändern kann.

Unternehmen, die dies ignorieren, riskieren nicht nur ihr Image, sondern auch erhebliche finanzielle Verluste. Was können Arbeitgebende aus diesem Fall lernen? Zunächst einmal, dass sie das Gleichstellungsgesetz ernst nehmen müssen. Beschwerden, die unter dieses Gesetz fallen, sollten mit äusserster Sorgfalt behandelt werden. Unternehmen müssen sich bewusst sein, dass in solchen Fällen ein erweiterter Kündigungsschutz greift und die finanziellen Risiken erheblich sein können.

Um nicht in ähnliche Situationen zu geraten, sollten Unternehmen präventiv handeln. Klare Richtlinien gegen Diskriminierung und sexuelle Belästigung, regelmässige Schulungen für Führungskräfte und ein transparentes Beschwerdemanagement sind unerlässlich. Nur so können Arbeitgebende das Risiko minimieren, in kostspielige rechtliche Auseinandersetzungen verwickelt zu werden.

Der Fall wirft auch Fragen zur Zukunft des Arbeitsrechts auf. Wird das Gleichstellungsgesetz in Zukunft häufiger als ‘Waffe’ in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten eingesetzt werden? Wie werden Gerichte die Balance zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen in solchen Fällen finden? Diese Fragen werden die Rechtsprechung und die Unternehmenspraxis in den kommenden Jahren sicherlich beschäftigen.

Die gesellschaftlichen Implikationen und der Weg zu einer gerechteren Arbeitswelt

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Dieser Rechtsfall hat über die arbeitsrechtliche Dimension hinaus weitreichende gesellschaftliche Implikationen. Er rückt die Themen Gleichstellung, Respekt und Fairness am Arbeitsplatz in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Tatsache, dass selbst in einer vermeintlich progressiven Branche wie dem Journalismus solche Fälle auftreten können, zeigt, wie tief verwurzelt Diskriminierung und Machtmissbrauch nach wie vor in unserer Arbeitswelt noch immer sind.

Für Arbeitnehmende ist der Fall ein Signal der Ermutigung. Er zeigt, dass das Recht auf ihrer Seite sein kann, wenn es um den Schutz vor Diskriminierung und unfairer Behandlung am Arbeitsplatz geht. Das Gleichstellungsgesetz erweist sich als wirksames Instrument, um für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in der Arbeitswelt zu kämpfen. Dies könnte mehr Menschen ermutigen, gegen Missstände vorzugehen und ihre Rechte einzufordern.

Gleichzeitig stellt der Fall Unternehmen vor neue Herausforderungen. Sie müssen nicht nur ihre internen Strukturen und Prozesse überdenken, sondern auch eine Unternehmenskultur fördern, die auf gegenseitigem Respekt und Gleichberechtigung basiert. Dies erfordert ein Umdenken auf allen Ebenen, von der Führungsetage bis hin zu jedem einzelnen Mitarbeiter oder Mitarbeiterin.

Der Fall unterstreicht auch die Bedeutung einer unabhängigen Justiz und starker Arbeitnehmerrechte. In einer Zeit, in der in vielen Ländern Arbeitnehmerrechte unter Druck geraten, zeigt der Fall, wie wichtig robuste gesetzliche Rahmenbedingungen zum Schutz vor Diskriminierung und Willkür am Arbeitsplatz sind.

Letztlich ist der Fall ein Appell an alle Beteiligten in der Arbeitswelt: Respekt, Fairness und Gleichberechtigung sollten nicht nur leere Worte sein, sondern gelebte Realität. Nur so kann man eine Arbeitskultur schaffen, in der solche rechtlichen Auseinandersetzungen die Ausnahme und nicht die Regel sind.

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Der Weg zu einer gerechteren und diskriminierungsfreien Arbeitswelt ist noch lang, aber Fälle wie dieser zeigen, dass Veränderung möglich ist. Sie erinnern uns daran, dass jeder Einzelne eine Rolle bei der Gestaltung einer fairen und respektvollen Arbeitsumgebung spielt. Unternehmen, Gesetzgebende, Gerichte und Arbeitnehmende müssen gemeinsam daran arbeiten, eine Kultur zu schaffen, in der Gleichstellung und gegenseitiger Respekt selbstverständlich sind.

In diesem Sinne könnte dieser Fall nicht nur ein Wendepunkt in der Schweizer Medienlandschaft sein, sondern auch ein Katalysator für einen breiteren gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Gleichberechtigung und Respekt in der Arbeitswelt. Er unterstreicht die Notwendigkeit, bestehende Machtstrukturen zu hinterfragen und aktiv an einer Arbeitskultur zu arbeiten, die allen Beschäftigten, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder anderen Merkmalen, gleiche Chancen und Behandlung garantiert.