Apr 2

Keine Stempeluhr? Oh Sie haben ein Problem…

Author: PersonalRadar

Wahrscheinlich hat auch Ihr Arbeitgeber ein Problem. Viele Unternehmen haben in diesem Land ein Problem. Unwissen gilt nicht. Sie sind jedoch in bester Gesellschaft sollte es wirklich so sein: In Sachen Arbeitszeiterfassung herrschen in vielen Unternehmen alarmierende Zustände.

Die Stempeluhr hat sicher ihre Berechtigung….

Viele Arbeitnehmende wie auch Arbeitgebende sind streng genommen Gesetzesbrecher, wenn Arbeitszeit nicht erfasst und nachweisbar ist. Sie kratzen sich jetzt ungläubig am Hinterkopf und denken der Schreibende hat eine Schraube locker. Dem ist nicht so, wenn es nach den staatlichen Arbeitsinspektoraten geht. Es schleckt keine Geiss den Granit weg. Arbeitszeit muss erfasst werden, damit sie legal bleibt. Wird das nicht gemacht, dann ist sie illegal. Jeden Monat werden Millionen von illegalen Arbeitsstunden abgerechnet, entlöhnt, sozialversicherungsrechtlich abgeführt und steuerrechtlich haftbar gemacht. Und der grossen Mehrheit ist es sch….. egal. Was ist denn nun mit diesem Land los?

Die Stempeluhr war mal das Sinnbild der modernen arbeitsrechtlichen Entwicklung und hat dazu beigetragen, dass ausbeuterische Arbeitsverhältnisse nicht mehr möglich waren. Die Verbürokratisierung der Arbeitszeit hatte sicher nicht nur Nachteile, sondern schuf faktische Gerechtigkeit und nachvollziehbare Verhältnisse. Beide Seiten, also Arbeitgebende und Arbeitnehmende, haben geordnete Zustände.

Die ‚Fahrtenschreiber der Arbeitswelt’ haben Arbeitsverhältnisse regularisiert und der helvetischen Industrielandschaft ihren Stempel aufgedrückt. Wir leben aber in der Zwischenzeit in der postindustriellen Wirklichkeit.

Die Industrielandschaft Schweiz ist zum Glück immer noch eine Realität. Die Dienstleistungsbranche ist aber überdurchschnittlich gewachsen und hat dazu beigetragen, dass die Stempeluhr mancherorts wie ein Relikt aus alten Tagen wirkt. Denn die Arbeitszeiterfassung ist in erster Linie ein Kontroll- und Analyseinstrument anspruchsvoller Arbeitsabläufe. Gerade in Unternehmen mit Gleitzeit, Jahresarbeitszeit, Schichtbetrieb u.ä. trägt sie dazu bei, dass man den Überblick behält. Sie legt zudem Schwächen bloss und erhöht u.U. die Produktivität. Ob die Stempeluhr dem Schutz der Arbeitnehmenden dient bleibt dahin gestellt. Oft ist er damit auch besser kontrollierbar. Der moderne Arbeitnehmende lässt sich heute nicht mehr so schnell ausbeuten und akzeptiert auch keine Arbeitsverhältnisse die würdelos und unmenschlich wären.

Die Selbstausbeutung der Arbeitssüchtigen, die Stempeluhren austricksen ist in der Zwischenzeit das grössere Problem geworden.

Die Frage bleibt trotzdem etwas schwül in der Luft hängen: Was soll eine solche Kontrollvorschrift aus dem Industriezeitalter in der heutigen modernen Arbeitswelt besser machen? Den uniformen Tätigkeiten haben wir den Garaus gemacht. Die Arbeitswelt ist komplexer geworden. Familienexterne Betreuung, Freizeit, Sprachaufenthalte, Sabbaticals und Weiterbildungen prägen unsere Arbeitszeit. Es ist nichts mehr so wie früher. Die Mittagszeit zuhause bei der Familie mit anschliessendem kurzen Regenerationsschläfchen auf dem heimischen Sofa gehört der Vergangenheit an. Heute ist alles schneller, hektischer und flexibler.

…dort wo es die betrieblichen Umstände verlangen und es auch Sinn macht.

Was machen Journalisten, wenn ihnen die Muse nachts begegnet und kein Stempelapparat neben dem Bett steht? Was macht die Teilzeitmitarbeitende für die Buchhaltung, die einen Home Office Job zuhause hat, aber im Moment lieber abends für die Bude was macht, weil in der heimischen Bude alles drunter und drüber geht, da die Kinder krank sind und kein Stempelapparat neben dem Wickeltisch steht? Was macht der Mitarbeiter aus dem IT-Support, wenn er kreuz und quer durchs Land reisen muss, weil seine Fähigkeiten rund um die Uhr vor Ort benötigt werden und kein Stempelapparat neben dem Server des Kunden steht? Was machen Mitarbeitende, die international auf Achse sind und mal am Wochenende dringend in aller Ruhe Berichte zuhanden der Vorgesetzten schreiben möchten? Stempeln solche Mitarbeitende? Wohl kaum. Vielen käme es auch nicht in den Sinn.

Vertrauensarbeitszeit ist nicht ein Phänomen, das es erst seit Kurzem gibt.

Die Buchhalterin logt sich wahrscheinlich im System ein und der Arbeitgeber sieht, wann sie arbeitet. Der Journalist liefert seine Texte ab und ist froh, dass ihn nachts die Muse küsste und der Text als Leitartikel erscheint. Die Arbeitszeit des IT Menschen ist ohnehin immer gut auf den Supportsystemen nachvollziehbar und die Vielreisenden sind so stark verplant und können ihre Arbeitszeit mit Tickets, Hotelbuchungen, Sitzungsprotokollen und weiteren Belegen bestens nachweisen. Da wäre eine antiquierte Zeiterfassung, wie es die Arbeitsinspektoren gerne wünschen, nur ein bürokratisches Hindernis.

Die genaue Erfassung von Arbeitszeit ist nicht überall machbar und wäre für viele auch eine Schikane. Der Arbeitnehmer müsste sich akribisch an die Vorschriften halten und kann nicht mal länger bleiben, ohne dass er dieses zusätzliche Engagement rechtfertigen muss. Vielleicht hat er abends mal mehr Zeit für sich, um eine wichtige Sache zu lesen, einen Vortrag zu überarbeiten oder einfach mal einen komplexen Arbeitsvorgang von A-Z ohne Störung fertig stellen zu können. Zudem müssen die Arbeitgeber teure Zeiterfassungssysteme anschaffen, ob das nun eine Kleinstfirma oder ein grosses Industrieunternehmen ist.

Die Selbstausbeutung der Arbeitnehmenden ist heute weitaus akuter als die Ausbeutung der Proletarier.

Der ausgebeutete Proletarier ist ein Relikt aus alten Tagen. Es gab ihn mal. Es ist eine gute Sache, dass es ihn nicht mehr gibt, er für seine Rechte kämpfte und dafür sorgte, dass wir in der heutigen Arbeitswelt mehrheitlich anständige Verhältnisse haben. In diesem Jahr will der Bundesrat in Sachen Arbeitszeiterfassung neue Regeln schaffen. Sie sollen angeblich liberaler ausfallen, dafür rigoros durchgesetzt werden. Da kann man auf das Ergebnis nur gespannt sein. Wahrscheinlich ist es radikalen Syndikalisten in den zahlreichen Gewerkschaftszentralen dieses Landes, den paritätischen Kommissionen mit ihrem undurchsichtigen Gebaren und den Akkurat-Bürokraten der öffentlichen Verwaltungen einfach langsam unheimlich, dass sich die Arbeitswelt selber organisiert und die Arbeitnehmenden damit nicht ganz unzufrieden sind. Aber Kontrolle war schon immer ein Mittel, um die Aufmüpfigen wieder in die Reihe zu bekommen. Hilft es den Betroffenen? Wahrscheinlich nicht. Aber wer fragt sie schon?