Verwarnung im Arbeitsrecht.
In der täglichen Praxis unserer Rechtsberatung stellen sich sehr häufig Fragen nach einer angemessenen Reaktion des Arbeitgebers bei pflichtwidrigem oder inakzeptablem Verhalten von Arbeitnehmenden. (Ein Beitrag von: Dr. iur. Alexander Frei, Arbeitgeberverband Basel).
Ebenso häufig ergeben sich bei ordentlichen oder fristlosen Entlassungen aus disziplinarischen Gründen Fragen nach der rechtlichen Zulässigkeit resp. Notwendigkeit einer solchen Massnahme. Oftmals erscheint aus Arbeitgebersicht zwar eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses als berechtigt. Bei genauer Analyse des Sachverhalts zeichnen sich jedoch regelmässig arbeitsrechtliche Probleme ab, weil ein betroffener Arbeitnehmer vor der Kündigung nie ausdrücklich auf sein Fehlverhalten angesprochen wurde und auch keine Verwarnung erfolgte. Auf den folgenden Seiten wollen wir Ihnen die arbeitsrechtliche Bedeutung der Verwarnung von Mitarbeitenden erläutern und damit auch in schwierigen Personalentscheiden eine Hilfestellung bieten.
Weisungsrecht und Verwarnung
Als Ausfluss ihrer Treuepflicht haben Arbeitnehmende rechtmässige Weisungen des Arbeitgebers zu befolgen (Art. 321a OR). Hält sich ein Arbeitnehmer nicht an die (allgemeinen oder besonderen) Weisungen des Arbeitgebers, kann dieser Verweise oder Verwarnungen aussprechen (Art. 321d OR). Die mildeste Form der disziplinarischen Sanktion ist der Verweis. Mit dem Verweis rügt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen einer erfolgten Pflichtverletzung und ermahnt ihn, sich in Zukunft pflichtgemäss zu verhalten. Der Verweis ist somit die Missbilligung des Arbeitnehmer-verhaltens, ohne dass damit arbeitsrechtliche Konsequenzen angedroht werden. Im Gegensatz dazu erfolgt die Verwarnung unter Androhung von disziplinarischen Massnahmen im Fall einer wiederholten oder schweren Pflichtverletzung. Mit der Verwarnung wird i.d.R. eine ordentliche oder sogar fristlose Kündigung angedroht. Die Verwarnung entfaltet also eine eindeutige Warnwirkung gegenüber dem gerügten Arbeitnehmer, der bei Wiederholung der Pflichtverletzung mit der angedrohten Sanktion rechnen muss.
Wesen der Verwarnung
Ein Arbeitgeber, der während einer gewissen Zeit eine rechts- bzw. pflichtwidrige Situation akzeptiert, kann nicht plötzlich wichtige Gründe für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend machen. Der Arbeitgeber ist deshalb bei festgestellten Pflichtverletzungen ohne weiteres berechtigt, eine Verwarnung auszusprechen. Obwohl grundsätzlich der direkte Vorgesetzte des fehlbaren Arbeitnehmers eine Verwarnung aussprechen kann, ist es u.E. sinnvoll, wenn die Verwarnung durch eine vorgesetzte Person ausgesprochen wird, welche auch über die Kompetenz zur allfälligen Kündigung des Arbeitsvertrages verfügt. Ist der Urheber einer Pflichtverletzung bekannt, ist die Verwarnung direkt an diesen zu richten. In Fällen, in denen unklar ist, welche Person für einen Missstand oder eine Pflichtverletzung verantwortlich ist, kann eine Verwarnung auch an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtet werden (bspw. bei einem Schaden, dessen Verursacher (noch) nicht bekannt ist). Eine Verwarnung muss sich auf ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers beziehen, welches dieser überhaupt ändern kann.
Der Arbeitgeber kann somit nicht seine allgemeine Unzufriedenheit mit dem Arbeitnehmer durch eine Verwarnung zum Ausdruck bringen.
Das Aussprechen einer Verwarnung muss den zu Grunde liegenden Verhältnissen angemessen sein. Eine Verwarnung bei einmaligem «Zu-Spät-Kommen» wäre wohl unverhältnismässig. Auch Verwarnungen wegen Lappalien bleiben vor einem Arbeitsgericht voraussichtlich wirkungslos. Wenn jedoch ein bestimmtes Verhalten wiederholt vorkommt, ist eine Verwarnung auch bei geringfügigen Pflichtverletzungen möglich und angezeigt. Beim Aussprechen einer Verwarnung sind somit die Schranken des Weisungsrechts zu beachten, wie das Schikane- und Willkürverbot. Diese Schranken werden auch verletzt bei der exemplarischen Verwarnung eines einzelnen Mitarbeiters, wenn sich mehrere andere im gleichen Moment dieselben Pflichtverletzungen zu Schulden kommen liessen.
Verwarnungsfälle
Als Verwarnungsfälle sind alle Arten von Pflichtverletzungen denkbar. Die üblichsten Fehlverhalten von Arbeitnehmenden betreffen die folgenden Vorfälle:
- Gesetzesverletzungen (Verletzung von Arbeits- und Ruhezeitvorschriften, sexuelle Belästigung usw.)
- Vertragsverletzungen (unerlaubte Nebenbeschäftigung, Konkurrenzierung, Annahme von Geschenken, Internetmissbrauch usw.)
- Ungebührliches Verhalten gegenüber Kunden, Vorgesetzten und Mitarbeitenden
- Unentschuldigte Absenzen
- Unpünktlichkeit
- Nicht-Einreichen von Arztzeugnissen
Verwarnungsvarianten
Bei der Verwarnung sind zweierlei Sanktionen denkbar:
- Verwarnung mit Androhung der ordentlichen oder fristlosen Entlassung
- Verwarnung mit anderen arbeitsrechtlichen Sanktionen (bspw. hierarchische Zurückstufung, Entzug der Zeichnungsberechtigung, Änderung des Einsatzbereichs oder Abteilungswechsel usw.)
In einer Verwarnung ist die gerügte Pflichtverletzung präzise zu bezeichnen. Bei wiederholtem Widersetzen gegen die Weisungen des Arbeitgebers kann in einem umfassenden Sinne auch eine generelle zukünftige Pflichtverletzung abgemahnt werden. Ebenso sind die Konsequenzen bzw. Sanktionen bei einer erneuten Pflichtverletzung unmissverständlich zu umschreiben. Die Verwarnung richtet sich somit auf das Verhalten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit und in der Zukunft. Eine Verwarnung erfüllt damit verschiedene Funktionen: Der Arbeitgeber will mit der Verwarnung die zukünftige Vertragstreue des Arbeitnehmers sicherstellen. Mit einer Verwarnung kann der Arbeitgeber verhindern, dass sich der Arbeitnehmer in Zukunft darauf berufen kann, dass das gerügte pflichtwidrige Verhalten in der Vergangenheit vom Arbeitgeber geduldet wurde. Wenn der Arbeitnehmer keinen Widerspruch gegen die Verwarnung erhebt, kann dies als Indiz gelten, dass das pflichtwidrige Verhalten tatsächlich erfolgt ist. Insofern kann der Verwarnung in einem späteren arbeitsrechtlichen Verfahren eine Beweisfunktion zukommen. Eine Verwarnung führt dazu, dass bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit einer zukünftigen Massnahme nicht nur der konkrete Einzelfall betrachtet wird, sondern – im Sinne einer Gesamtbetrachtung – neben der betreffenden zukünftigen Massnahme auch ein vergangenes Verhalten des Arbeitnehmers (das Verhalten, auf das sich die Verwarnung bezog) beurteilt werden. Insbesondere bei fristloser Entlassung wegen weniger schwerwiegenden Verfehlungen, müssen diese trotz Verwarnung(en) wiederholt vorgekommen sein.
Vorgehensweise
Wenn ein Verweis oder eine Verwarnung ausnahmsweise nur mündlich erfolgt, sollte unbedingt eine Aktennotiz des Gesprächs erstellt werden. Wir empfehlen jedoch, Verweise und Verwarnungen grundsätzlich immer schriftlich mitzuteilen. Nach Möglichkeit ist das Verwarnungsschreiben persönlich anlässlich eines Mitarbeitergesprächs auszuhändigen. Dessen Empfang ist mit Unterschrift vom Arbeitnehmer zu bestätigen; anderenfalls erfolgt die Zustellung des Verwarnungsschreibens mit eingeschriebenem Brief. Verweise, Verwarnungen und Aktennotizen gehören zentral abgelegt und werden zur Personalakte genommen. Ein Arbeitgeber muss zwar nicht unverzüglich (wie bei der fristlosen Entlassung) nach der festgestellten Pflichtverletzung eine Verwarnung aussprechen. Wir empfehlen jedoch, auf ein festgestelltes Fehlverhalten des Arbeitnehmers zeitnah zu reagieren. Das Recht, eine Verwarnung auszusprechen, kann nämlich verwirken, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in der Zwischenzeit verziehen hat (bspw. mit einer Beförderung des Arbeitnehmers). Wird eine Verwarnung aufgrund eines Verhaltens, das der Arbeitnehmer so nicht gezeigt hat, ungerechtfertigt ausgesprochen, hat der Arbeitnehmer einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf, dass das Verwarnungsschreiben aus der Personalakte entfernt wird. Es empfiehlt sich daher, bei mehreren zu rügenden Verhaltensweisen des Arbeitnehmers, die Verwarnungen in separaten Schreiben auszusprechen.
Androhung fristlose Entlassung
Aus wichtigen Gründen kann das Arbeitsverhältnis fristlos aufgelöst werden (Art. 337 OR). Als wichtige Gründe gelten jedoch nur massive Verfehlungen des Arbeitnehmers, welche eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Treu und Glauben als unzumutbar erscheinen lassen. Bei weniger schweren Pflichtverletzungen wird von der Rechtsprechung die vorgängige Verwarnung unter Androhung der fristlosen Entlassung im Wiederholungsfall verlangt. Die Androhung der fristlosen Entlassung muss aus dem Verwarnungsschreiben klar hervorgehen. Ferner ist zu beachten, dass nicht eine beliebige Pflichtverletzung zur fristlosen Entlassung berechtigt, sondern nur die Wiederholung des verwarnten Tatbestandes bzw. der in einer umfassenden Verwarnung abgemahnten zukünftigen Pflichtverletzung(en). Für andere Pflichtverletzungen ist gegebenenfalls eine weitere Verwarnung notwendig. Es muss eine gewisse zeitliche Nähe des erneuten Fehlverhaltens gegeben sein. Für eine fristlose Kündigung aufgrund einer Jahre zurückliegenden Verwarnung aus nicht schweren Verfehlungen dürfte die Grundlage fehlen.