Okt 11

Flexibilität, ja – aber für wen? Der Mythos vom Home Office als Zukunftsmodell

Autor: PersonalRadar

Seit der Corona-Pandemie hat sich unsere Arbeitswelt radikal verändert. Was einst als Ausnahmesituation galt – das Arbeiten von zu Hause aus – ist für viele heute zur ‘neuen Normalität’ geworden.

Doch hinter der Forderung nach dauerhafter Flexibilität verbirgt sich ein gefährlicher Trend: Die Verweigerung von Veränderung und die Weigerung, Verantwortung für das eigene Arbeitsumfeld zu übernehmen. Aber was bedeutet das für die Zukunft unserer Arbeitsmärkte, und welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für die Schweiz?

(Bildquelle: www.freepik.com)

Um das zu verstehen, lohnt ein Blick auf die harten Zahlen: Vor der Pandemie war das Home Office in der Schweiz ein Randphänomen. Nur etwas mehr als ein Viertel der Arbeitnehmenden nutzten diese Möglichkeit regelmässig. Doch im Jahr 2020 schnellte diese Zahl auf über 50 % in die Höhe, als die Unternehmen gezwungen waren, ihren Betrieb aufrechtzuerhalten, während gleichzeitig soziale Distanzierungsmassnahmen griffen.

Viele Arbeitnehmende stellten plötzlich fest, dass sie tatsächlich von zu Hause aus arbeiten konnten – oft effizienter und flexibler, als sie je gedacht hätten. Doch dieser anfängliche Enthusiasmus ist inzwischen der Erkenntnis gewichen, dass Home Office nicht für jeden und nicht für alle Aufgaben geeignet ist.

Zunächst einmal ist das Home Office eine ambivalente Angelegenheit. Auf der einen Seite bietet es zweifelsohne Vorteile. Arbeitnehmende können sich ihren Tag freier einteilen, sparen sich den Arbeitsweg und haben potenziell mehr Zeit für Familie oder Hobbys. Auf der anderen Seite zeigen Studien, dass das Home Office auch negative Auswirkungen haben kann.

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Eine Umfrage der Universität Basel im Jahr 2022 ergab, dass viele Arbeitnehmende im Home Office länger arbeiten als im Büro und dabei oft das Gefühl haben, weniger abschalten zu können. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen, was das Risiko von Burnout erhöht.

Dazu kommt: Die Produktivität leidet in vielen Fällen. Laut einer Umfrage der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeitswissenschaften (SGA) gaben fast 40 % der Arbeitgebenden an, dass sie im Home Office einen Rückgang der Arbeitsqualität bemerkt hätten. Besonders problematisch wird es bei kreativen oder teamorientierten Aufgaben, bei denen der spontane Austausch im Büro unverzichtbar ist. Schweizer Grossunternehmen haben deshalb bereits angekündigt, dass sie ihre Mitarbeitenden in Zukunft wieder stärker im Büro sehen wollen. Auch Novartis hat zum Beispiel klargemacht, dass das Home Office langfristig nur für bestimmte Aufgaben und Abteilungen sinnvoll bleibt.

Ein weiteres Problem, das durch das Home Office verstärkt wurde, ist die Spaltung des Arbeitsmarktes. In hochqualifizierten Berufen – IT, Marketing, Beratung – wird die Arbeit von zu Hause oft als selbstverständlich betrachtet. Doch in den klassischen Dienstleistungsbranchen, der Produktion oder im Handwerk ist dies keine Option. Diese Kluft führt zu einer sozialen Spaltung, die durch die Pandemie noch weiter vertieft wurde. Während hochbezahlte Wissensarbeiter von den Vorteilen des Home Office profitieren, sind geringqualifizierte Arbeitskräfte gezwungen, vor Ort zu arbeiten – oft unter schwierigen Bedingungen. Diese Ungleichheit wirft die Frage auf: Wer profitiert eigentlich wirklich vom Home Office?

Die Frage nach der Rückkehr ins Büro ist daher keine rein technische oder logistische Herausforderung. Sie ist eine Frage der Gerechtigkeit und der ökonomischen Vernunft.

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Der schweizerische Arbeitsmarkt steht vor grossen Herausforderungen: Der Fachkräftemangel ist eine davon. Laut einer Umfrage von Swissstaffing im Jahr 2023 gaben mehr als 40 % der befragten Unternehmen an, Schwierigkeiten zu haben, qualifiziertes Personal zu finden. In Branchen wie der Pflege, der IT oder der Industrie verschärft sich diese Situation weiter. Gleichzeitig erwarten viele Arbeitnehmende, dass sie auch in Zukunft von zu Hause arbeiten können, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse ihrer Arbeitgebenden oder die betriebliche Notwendigkeit.

Diese Haltung ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch gefährlich. Denn die Realität ist: Unternehmen müssen flexibel bleiben, um wettbewerbsfähig zu sein. Flexibilität bedeutet jedoch nicht, dass Arbeitnehmende einseitig bestimmen können, wie und wo sie arbeiten. Es bedeutet, dass beide Seiten – Arbeitgebende und Arbeitnehmende – bereit sein müssen, Kompromisse einzugehen.

Das starre Festhalten an einem Modell, sei es Home Office oder Büroarbeit, ist keine Lösung für die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt.

Die Verweigerung, ins Büro zurückzukehren, ist Teil einer grösseren gesellschaftlichen Tendenz: Der Unwille, sich mit Unannehmlichkeiten auseinanderzusetzen. Veränderungen, die uns aus unserer Komfortzone zwingen, werden als Bedrohung empfunden. Das ist nachvollziehbar, aber es bringt uns nicht weiter. Der Fortschritt – sowohl individuell als auch gesellschaftlich – entsteht immer durch die Bereitschaft, sich auf neue Situationen einzulassen und flexibel zu bleiben. Dies gilt nicht nur für die Art, wie wir arbeiten, sondern auch für die Anforderungen des Arbeitsmarkts insgesamt.

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Die Debatte um das Home Office verdeckt ein weiteres zentrales Problem: Die wirtschaftliche Lage der Schweiz. Trotz der vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenquote von 2,2 % im Jahr 2023 kämpft die Schweiz mit strukturellen Herausforderungen. Die Globalisierung, der technologische Fortschritt und der demografische Wandel führen dazu, dass viele Arbeitsplätze gefährdet sind. Gerade in solchen Zeiten ist es wichtig, dass Arbeitnehmende anpassungsfähig bleiben. Das Festhalten am Home Office als einzigem Arbeitsmodell trägt nicht zur Lösung dieser Probleme bei – im Gegenteil: Es verstärkt die Gefahr, dass bestimmte Arbeitsplätze verloren gehen, weil Unternehmen nicht in der Lage sind, die notwendige Flexibilität zu gewährleisten.

Ein weiterer Aspekt, der oft übersehen wird: Das Büro ist mehr als nur ein Ort der Arbeit. Es ist ein sozialer Raum, ein Ort der Kreativität und des Austauschs. Studien zeigen, dass Innovationen häufig in informellen Gesprächen entstehen – beim Kaffee im Personalrestaurant oder im Flur zwischen den Meetings. Diese Momente des spontanen Austauschs fehlen im Home Office oft völlig. Es mag zwar effizient sein, den ganzen Tag in Video-Calls zu verbringen, aber die wirklich bahnbrechenden Ideen entstehen oft in ganz anderen Kontexten. Das Büro bietet dafür den idealen Rahmen.

Zusammengefasst

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Die Schweiz steht an einem Scheideweg. Der Arbeitsmarkt verlangt Flexibilität und Anpassungsfähigkeit – von Unternehmen genauso wie von Arbeitnehmern. Die Rückkehr ins Büro ist keine rückwärtsgewandte Forderung, sondern eine Notwendigkeit, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Frage ist nicht, ob das Home Office gut oder schlecht ist, sondern ob wir bereit sind, uns den Herausforderungen des modernen Arbeitsmarktes zu stellen und Veränderungen als Chance zu begreifen.