Homeoffice – hit oder shit?
Das Büro zuhause ist nicht besser. Es ist anders. Die Corona Pandemie hat neue Arbeitsformen geschaffen. Von einem Tag auf den anderen. Viele arbeiten gerne von zuhause aus. Ebenso viele hassen die Verbannung aus ihren Geschäftsbüros leidenschaftlich und sehnen sich nach dem vertrauten Arbeitsplatz.
Im Frühjahr 2020, während des ersten Lockdowns, hat das das Forschungsinstitut GFS in Bern eine Umfrage gestartet und nachgefragt, wie sich das Arbeitsleben zuhause so anfühlt. Viele fanden es von Vorteil,
- dass sich Arbeitswege über Nacht wie Zuckerwürfel im Nichts auflösten,
- Pendlerströme für jene, die noch in die Firma fuhren, sich lichteten,
- das Privatleben besser planbar wurde und
- die Produktivität sich angeblich steigerte, da es weniger Ablenkung gab
Das Einrichten des heimischen Büros war aber für viele gar nicht so einfach. Nicht alle leben als Single in einer 5-Zimmer Wohnung, haben unendlich viel Platz und unerschöpflich viel Geld, um schnell mal ein Büro mit Ambiente einzurichten. Die meisten sind eingeklemmt zwischen Improvisation, Kinder, Enge und technischen Basteleien.
Bevor Mann oder Frau sich ins Homeoffice jagen lässt, sollte man sich ein paar Fragen stellen und sich überlegen was will ich, was brauche ich und was bin ich bereit mir zuzumuten. Für die Einen ist das Homeoffice ein Hit, für viele aber auch ein absoluter Shit.
Was brauche ich?
Vom Homeoffice reden ist einfach. Wenn man aber nichts hat, ist der Aufwand nicht ganz unerheblich. Nur der Rechner alleine macht es nicht aus. Gibt es einen anständigen Bürostuhl, der ein Hinterteil für acht Stunden im Durchschnitt aushält? Gibt es einen Tisch, der diesen Namen auch verdient? Ist die Lichtquelle okay oder einfach eine Funzel, die so tut als würde sie Licht machen. Gibt es genug Frischluft? Kann man ein Fenster öffnen. Sind die Raumverhältnisse gross genug? Ist der Hintergrund neutral und unverfänglich oder fangen die Gesprächspartner bei Konferenzen an zu schmunzeln, wenn sie die Bilder, die Titel der Buchrücken oder den Wohnschmuck sehen? Gibt es genügend Abstellplatz und Stromdosen für das Mobiltelefon, den Drucker und die Bürosachen, die man einfach so braucht? Ist das Telefon so eingerichtet, dass man nicht mit der privaten Nummer telefonieren muss? Fragen über Fragen.
Im Keller, Estrich oder sonst wo? Am richtigen Ort!
Der Arbeitsbereich muss dort sein, wo ein ungestörtes Arbeiten einigermassen möglich ist. Wenn sie bei Telefongesprächen andauernd von Kindergeschrei, hungrigen Hauskatzen, die über die Tastatur laufen und von wütenden Lebenspartnern/-innen angeblafft werden, weil sie die Kaffeetasse überall deponieren, nur nicht in der Geschirrwaschmaschine, dann können sie sich nicht konzentrieren und die Arbeit leidet darunter.
Ist der Arbeitsplatz in einem Wohnbereich integriert, muss dieser klar abgegrenzt werden, damit alle wissen, dass es sich um eine Tabuzone handelt.
In diese dringt niemand einfach so ein und macht Radau. Wer andauernd am heimischen Arbeitsplatz gestört wird, weil es einfach keinen richtigen Platz im Haushalt gibt, sollte sich fragen, ob es nicht andere Lösungen gibt, zum Beispiel bei Bekannten ums Eck, die viel Platz haben und einfach etwas zwischenzeitlich anbieten können. Ist der Arbeitsplatz einigermassen arbeitstauglich, dann lässt sich automatisch viel besser arbeiten. Alles andere ist Augenwischerei und führt zu Frust und Aggressionen. Zwei emotionale Begleiterscheinungen, die dem heimischen Arbeitsfrieden nicht förderlich sind.
Habe ich genügend Licht in der Bude?
Sie halten das für eine Selbstverständlichkeit. Ganz sicher stimmt die optimale Ausleuchtung im Büro beim Arbeitgeber in den meisten Fällen. Wie ist es aber zuhause? Tränen ihnen abends die Augen? Sind sie gerötet? Der Bildschirm ist meistens nicht schuld daran. Moderne Bildschirme bieten eine hohe Auflösung. In der Regel ist es die direkte Lichtquelle, die schwach leuchtet und eine düstere Stimmung verbreitet. Eine gute Stehleuchte oder eine geeignete Tischlampe schaffen in der Regel Abhilfe. Gutes Licht hat auch einen direkten Einfluss auf den Stimmungsbarometer. Wenn man den ganzen Tag in der Halbfinsternis verbringt, muss man nicht verwundert sein, wenn die Stimmung sich ebenso verfinstert und das Homeoffice den Charme einer Tropfsteinhöhle verströmt.
Das passende Mobiliar entscheidet darüber, ob sich abends der Rücken so anfühlt, als wäre man vermöbelt worden
Das Homeoffice sollte nicht als Hobby- oder Freizeitecke eingerichtet werden. Ein billiges Konstrukt aus Harassen oder Holzpaletten mag ja an vergangene Studentenzeiten erinnern und eine Leichtigkeit des Seins vorgaukeln, die man vielleicht schon lange nicht mehr fühlte. Die Verbannung ins Homeoffice lässt jedoch auch darauf schliessen, dass es im Moment aufgrund von exogenen Faktoren nicht so rund läuft, aber man dies als Individuum nicht so beeinflussen kann und es deshalb angebracht ist sich auf eine längere Zeit im Homeoffice einzurichten. Wenn das Mobiliar aus der Brockenstube oder von der Müllabfuhr stammt, darf man sich nicht wundern, wenn abends sich der Körper so anfühlt, als wäre man stundenlang an einen Marterpfahl geknüpft worden. Spätestens dann sehnt man sich nach einer vernünftigen Einrichtung, die einen nicht müde macht und dazu beiträgt, dass der Arbeitstag einigermassen erträglich bleibt.
Sitzt der Hintern nicht richtig, brüllt das Steissbein die Wirbelsäule an
Beim Stuhl sollte man nie sparen. Billig kann richtig teuer werden. Wer schlecht sitzt, kann seiner Grobmotorik und der Körpermechanik grossen Schaden bereiten. Das Genick tut ebenso weh und Kopfschmerzen machen sich zwischen den Schläfen breit. Probieren Sie Stühle aus. Kaufen Sie diese nicht im Online-Handel. Lassen sie ihren Körper entscheiden auf was für ein Ding er sich gerne platzieren möchte. Behagt der Stuhl nicht, aber der Preis ist gut, dann entscheiden sie sich gegen den Preis. Es wird sich auszahlen. Die Stuhlform sollte auch auf die Körpergrösse und das –gewicht Rücksicht nehmen. Sind sie ein Schwergewicht, dann ächzt die Sitzfläche schon nach kurzer Zeit und wird sie mit Leichtigkeit abwerfen, indem der Stuhl einfach kollabiert. Ein guter Stuhl kostet Geld. Sie verbringen in der Regel einen grossen Anteil ihrer Lebenszeit auf diesem Ding, daher hat ihr Hinter mehr verdient als der Hinweis auf das Preisschild. Der Stuhl wird es ihnen ebenso danken, wenn sie ihn nicht ‚verarschen‘. Ihr Rücken wird jauchzen und ihre Muskulatur frohlocken.
Bequemlichkeit stellt sich nur ein, wenn alles richtig eingestellt ist
Wenn der Bildschirm zu nahe oder zu weit steht, dann wundern sie sich nicht, wenn die Augen ihnen mitteilen, dass sie die Kraft drosseln und auf Unschärfe schalten. Stimmt die Distanz und der Neigungswinkel, dann wird sie auch ihr Nacken in Ruhe lassen und sie nicht mit Versteifungen daran erinnern, dass er auch Bedürfnisse hat. Die Tastatur sollte so ausgelegt sein, dass das Tippen nicht zum Rheumatologen führt und der Gicht Tür und Tor öffnet. Gute, eventuell auch ergonomisch, korrekt austarierte Tastaturen kosten nicht mehr die Welt. Wer hier spart, dem bleibt nichts erspart.
Gönnen sie sich Pausen, damit sich in Bewegung bleiben
Den ganzen Tag Homeoffice machen, kann schön an die Nieren gehen. Man ist konzentriert und möchte es besser machen als in der Firma, damit ja nicht der Anschein erweckt wird, dass man in der sozialen Hängematte liegt und so tut als ob man produktiv wäre. Viele nehmen ihre Arbeit sehr ernst und versuchen ihre lokale Abwesenheit durch übersteigerte Produktivität zu negieren. Gerade dann ist es wichtig, wenn man sich hie und da eine kurze Pause gönnt, einen Kaffee trinkt, eine Zigarette raucht, draussen kurz durchatmet oder eine paar Entspannungsübungen macht, um die verrenkten Knochen wieder in Form zu bringen.
Pausen sind wichtig.
Arbeitet man pausenlos, dann gehen irgendwann die Puste aus und alles andere ebenso. Also machen sie Pausen und legen sie das schlechte Gewissen auf die Seite. Es zahlt sich nicht nur für sie aus, sondern auch für die Firma.
Hat ihr Arbeitstag keine Struktur oder Rituale, fallen sie schnell ins Loch
Homeoffice ist wunderbar. Meinen viele. Sind sie aber nicht im Büro, dann kann der Alltag schnell von den eigenen Verhaltensweisen untergepflügt werden. Auf einmal sitzt man schon um 4 Uhr morgens vor der Kiste und arbeitet. Das Frühstück ging vergessen und das soziale Umfeld nimmt man nicht mehr wahr. Viele richten sich auch nach ihren Kunden in Übersee aus und fangen dann an, wenn diese ebenso an der Arbeit sind. Irgendwann kommt die innere Uhr so durcheinander, dass die Chronobiologie anklopft und ihr Recht einfordert.
Geben sie dem Tagesablauf eine klare Vorgabe und Struktur. Halten sie an lieb gewonnenen Ritualen fest. Ansonsten gleitet ihnen früher oder später alles aus den Händen und sie sind sich nicht mehr selber. Zudem lässt die Konzentration nach und die Fehlerhäufigkeit nimmt zu. Wenn sie anstatt der Milch das Shampoo in den Kaffee giessen, ist es höchste Zeit sich an klare Vorgaben zu halten. Selbstdisziplin ist die wahre Herausforderung.
Stress lass nach und mach dich vom Acker
Homeoffice ist kein Schleck. Man ist auf sich selber zurückgeworfen, vermisst den sozialen Kontakt und verliert schleichend den inneren Kompass. Das löst Stress aus. Man fühlt sich ein wenig wie im offenen Strafvollzug. Das löst auch Aggressionen und Streit aus. Zudem ist die Heimtechnik nicht immer zuverlässig wie in der Firma. Das Bild ruckelt, die Tonqualität wackelt und die allgemeine häusliche Datenübertragung ist so schnell wie eine betrunkene Schnecke, da alle am Netz hängen und die Terrabytes trotz Glasfasernetz einfach nicht schnell genug durch die Leitungen schiessen. Das löst Ärger aus und hat schon manchem Laptop das Leben gekostet, weil Nutzende aus Wut diese in tausend Teile zerschlugen und ihrer Wut Luft machten. Das bringt ihnen nichts und den Computerherstellern mehr Umsatz. Machen sie manchmal Turnübungen. Bewegen sie sich. Machen Sie Atemübungen und Entspannungsprogramme. Das hilft. Die häusliche Gewalt hat aufgrund vieler Zwangsgemeinschaften stark zugenommen. Lassen sie Kraft raus mit Leibesübungen. Die machen wohlig müde. Die Polizei hat sonst schon genug zu tun und verzichtet gerne auf zusätzliche Einsätze wegen häuslichen Konflikten.
Aufhören, wenn die Zeit da ist
Die Task- oder Streichliste, die man schön führt und möglichst gänzlich abhaken möchte, kann schnell zum Albtraum werden. Gerade Pflichtbesessene leiden darunter, wenn sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden und meinen alles immer schön pflichtbeflissen erfüllen zu müssen. Der Mut zur Imperfektion ist für solche Menschen wie ein Sakrileg. Es schaudert ihnen den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Sie arbeiten und arbeiten und arbeiten und finden nie den Mut einfach mal die Streichliste in der Schublade zu versorgen. Erst wenn alles erledigt ist, können sie ruhig schlafen. Werden sie nicht zum Sklaven von solchen Verhaltensweisen. Das macht sie krank, unstet und nervös.
Haben sie den Mut zur Lücke und schalten sie den Rechner aus, wenn Feierabend ist. Der nächste Tag kommt bestimmt und dann kann man Unerledigtes immer noch fertigstellen. Ihre Gesundheit wird es ihnen danken.
Homeoffice: Flop oder top?
Die ersten Tage im Homeoffice vermitteln den Eindruck grosser Freiheit. Die Vorgesetzten hört oder sieht man nicht. Die nervenden Teammitglieder sind auch nicht präsent und das Arbeiten zuhause wird als Fortschritt verklärt. Menschen sind jedoch soziale Wesen. Irgendwann vermisst man sogar den brüllenden Chef, weil man mit der Zeit nach sozialen Kontakten giert. Die betriebliche Organisation, das Wirtschaften im Allgemeinen und der Austausch von Informationen sind je nach Tätigkeit via Datenleitung anspruchsvoll. Der direkte Austausch, die Interaktion zwischen Menschen als Kommunikationsform verliert im Datennetz an Brisanz, Ursprünglichkeit und Vollkommenheit. Die ganzheitliche Wahrnehmung des Gegenübers ist im direkten Austausch viel unmittelbarer als via Datenleitung.
Irgendwann ist man der Sache überdrüssig und sehnt sich nach menschlichen Kontakten, wenn man wochenlang in elektronischer Isolation war.
Der gemeinsame Austausch in der betrieblichen Kaffeeküche, das vertraute Gespräch im Personalrestaurant des Unternehmens, die Teamsitzung im Konferenzzimmer oder die gemeinsame Rauchpause draussen vor der Tür, sorgen für Nähe, Vertrautheit und ein gewisses Mass an betrieblicher Intimität. Das Homeoffice kann das nie ersetzen. Deshalb ist Homeoffice mit ‚Officeoffice‘ als Mix viel besser als in Reinform. Menschen sind soziale und kommunikative Wesen. Das Gemeinwesen als Symbol der biologischen Sozietät ist unschlagbar.