Jan 13

Ein Colt für alle Fälle…

Author: Betty Zucker

Der «Fall Guy» ist die Sollbruchstelle im Management im Fall einer prognostizierbaren Extremsituation. Wenn es brennt, feuert der CEO den «Fall Guy», um das Unternehmen vor Schaden zu bewahren – und sich selbst (ein Beitrag von: Betty Zucker).

Zur Happy Hour traf ich mich kürzlich mit K., dem CEO eines internationalen Konzerns, dessen Name wenig zur Sache tut. Im Verlauf des zweiten Drinks meinte er: «Ich habe ein Problem mit meinem ‘Fall Guy’…» «Mit Deinem Waaas?», sagte ich. «Mit meinem ‘Fall Guy’», sagte er, und schaute mich treuherzig an. Ich runzelte die Brauen. «Jeder CEO braucht einen ‘Fall Guy’», meinte er dann.

«Du brauchst jemanden, den Du für die schwierigen Sequenzen deiner Rolle einsetzen kannst. Einen, der für dich die Prügel einsteckt und von der Klippe springt, wenn die Regie es verlangt. Das ist dein ‘Colt für alle Fälle’ oder wie die US-Fernsehserie aus den Achtziger Jahren in der Originalversion hiess ‘The Fall Guy’. Einen, den Du fallen lassen kannst, damit nicht Du fallen gelassen wirst.»

«Der ‘Fall Guy’», sagte er, «ist die Sollbruchstelle im Management im Fall einer prognostizierbaren Extremsituation.» Auweia dachte ich und begann zu recherchieren.

Für den CEO in Notwehr

So ein CEO ist aber auch nicht zu beneiden. Täglich spürt er wie seine Position schwankt. Im heutigen angstgetriebenen Klima sendet sein Stammhirm nonstop das gleiche Signal: schütze dich, sichere dich ab. Ein guter CEO darf nicht fallen. Dass er auch in schwieriger Stunde seine Führung behauptet, ist nicht nur für ihn, sondern fürs ganze Unternehmen bedeutsam. Er steht für Kontinuität und nachhaltige Entwicklung sowie nicht zuletzt für die Sicherheit der Arbeitsplätze – und des Börsenkurses. Sollte ein Megaseller floppen, ein Merger in die Hosen gehen oder die Corporate Governance einen Streich spielen, sollte der CEO vorausgedacht haben. Um oben zu bleiben, deckt er in «weiser» Voraussicht mit einem «Fall Guy» ein vorhersehbares Risiko ab.

Wo Hollywood nur Illusionsmaschine ist, bietet der «Fall Guy» auch für Analysten, Investoren und der allgemeinen Öffentlichkeit die Illusion, in dieser komplexen Welt gebe es eindeutige und transparente Verantwortlichkeiten, als reale Inszenierung.

Der allfällige Fall des «Fall Guy» wird an vorderster Front die Börsenanalysten beruhigen. Der CEO hat einmal mehr bewiesen, dass er entschlossen und konsequent die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht – auch wenn etwa die launigen Rohstoffmärkte zum Desaster beitrugen. Das so wichtige Vertrauen und die Reputation bleiben gewahrt. Zum Vorteil aller Stakeholder. Damit wird der «Fall Guy» eine Schlüsselfigur im Organigramm.

Der «ideale» Kandidat

Am besten wird ein Headhunter mit der Suche des Kandidaten beauftragt. Anders als ein interner Kandidat muss ein «Fall Guy» von aussen ohne persönliches Netzwerk im Haus agieren. Dann löst er beim Abschied kaum Mitleid oder gar Loyalitätskonflikte aus. Gesucht wird ein starker Mann mit gutem Leumund.

  • Erstens muss der «Fall Guy» die reale Chance haben, die Aufgabe erfolgreich zu meistern, denn dies hoffen natürlich alle.
  • Zweitens muss er bekannt sein, damit die Medien seinen potenziellen Abgang als Ereignis zelebrieren.

Je grösser der Eclat, um so gestärkter geht der CEO daraus hervor. In Frage kommen erfahrene, ältere Kandidaten. Am besten ist der «Fall Guy» zwischen fünfzig und sechzig. Seine beachtliche Laufbahn wird von Jungen bedrängt und durch die baldige Pensionierung begrenzt. Der Job ist seine letzte Chance, nach der er greift, wenn er nicht als lahme Ente abtreten will. Klar kommen auch Frauen in Frage. Sie können etwas jünger sein, fallen durch überdurchschnittliche Leistungen, Durchhaltevermögen und Hartnäckigkeit auf. Sie erhalten nun endlich «ihre Chance».

Geeignete «Fall Guys» erkennen aufgrund ihrer Qualifikationen die Risiken, denen sie sich aussetzen.

Aber aufgrund ihrer Situation sind sie fasziniert und verführt von den Chancen. Ihr gesunder Ehrgeiz und oft allzu gesunde Eitelkeit lassen sie zuwenig nachfragen, zumal der Zeithorizont des Jobs auf drei bis vier Jahre etwas weiter als ihre Karriereinteressen ist.

Der Schachzug hat seinen Preis

Sparen kann der CEO kaum am «Fall Guy». Dieser verlangt seinen Preis – inklusive «Risikoprämie». Beide sind zu erfahren in macchiavellistischen Zügen, als dass sie mögliche Folgen nicht abschätzen könnten. Die Höhe der Summe, die «Vertragsdetails», dienen dem CEO stillschweigend als Garantie, dass der «Fall Guy» Stillschweigen bewahrt, selbst wenn er das Spiel später durchschaut. Dass der «Fall Guy» am Ende wenigstens materiell einen Erfolg verbuchen kann, schafft die Win-Win-Situation, die dem Unternehmen dient. Retter von Visionen Die Kosten und die Funktion des «Fall Guy» beschränken seinen Einsatz eher auf Linienfunktionen. Exponiert sind Aufgaben, die monatliche Facts und Figures verlangen. Ein «Fall Guy» ist ideal, um eine kreative Buchhaltung auf den Boden der Realität zurück zu bringen, das Erbe von Visionen zu retten, oder die austrocknende Milchkuh des Unternehmens zum Goldesel umzubauen. Systemimmanente Intelligenz Ebenso wie der CEO kann auch ein Verwaltungsrat einen «Fall Guy» einsetzen.

Es muss allerdings notiert werden, dass nicht immer strategisches Kalkül oder gar Zynismus den Zweck des «Fall Guy» bestimmen. Es scheint eher unbewusst der systemimmanenten «Intelligenz», der zuweilen unergründlichen Weisheit der Organisation zu entspringen. Denn in Chefetagen ist der Begriff bis heute nicht geläufig, und nicht allen ist bewusst, dass ihr Anforderungsprofil an eine Stelle der eines «Fall Guys» entspricht. Ihre Häufigkeit dürfte die Zahl der in den obersten Etagen kolportierten Namen übersteigen. Abgangsprämie für Lebensabend Als Star der Szene avant la lettre hat sich Ian Flemings 007 profiliert. Auch der «Fall Guy» ist mit einer Art «Licence to Kill» ausgestattet, und wie James Bond hat auch der «Fall Guy», so gut er für die schwierige Aufgabe gewappnet sein mag, allenfalls einen Talisman in der Hand. Andere sagen «magic cockpit» dazu. Schon über zwanzig Mal hat Miss Moneypenny James Bond gerufen. Er hat die Chance noch immer genutzt und den Erfolg mit Girls gefeiert. Im wirklichen Leben kann sich der «Fall Guy» schon aus Altersgründen kaum mehr als einmal bewähren. Die Abgangsprämie sollte reichen – auch für einen Lebensabend mit Girls.