Ist die Krise da, dann zeigt sich der wahre Kern einer Führungskraft.
Schönwetterkapitäne gibt es viele. Scheint die Sonne und das Wasser ist ruhig, dann ist es einfach einen Kahn durch das seichte Gewässer zu steuern. Ist es jedoch stürmisch und die Brecher fluten im Sekundentakt über die Reling, dann ist Standfestigkeit gefragt.
Viele nehmen dann, im übertragenen Sinn, die Kotztüte aus der Tasche, schauen mit müden Augen in die Gischt und fallen mit fahlem Gesichtsteint auf die harte Pritsche in der Kajüte. Der erste Offizier soll das Steuer übernehmen. Sobald wieder schönes Wetter ausbricht, kommt der Kapitän mit herrischer Attitüde aufs Deck und macht klar wer das Sagen hat.
Während der Coronakrise waren viele Führungskräfte zuweilen bis auf das Äusserste gefordert. Viele prallten hart auf den Boden der Realität und holten sich schmerzhafte Beulen.
Was Führungskräfte in der ‚Schönwetter-Theorie‘ wussten, hielt der ‚Sturmwetter-Praxis‘ oft nicht stand. Wenn sich die Realität austobt, dann versteckt sich die Buchstabentreue ganz schnell. Es gab auch keine Referenzerfahrungen. Die Spanische Grippe war vor 100 Jahren und die Volkswirtschaften, die Gesellschaften und die Gesundheitssysteme anders ausgestaltet. Wer konnte schon auf Führungspraxiserfahrung während einer Pandemie zurückgreifen? Niemand. Die meisten wussten nicht mal was das Wort ‚Pandemie‘ überhaupt bedeutet.
So ist es nicht ganz verwunderlich, dass während dieser Krisenzeit Mitarbeitende manchmal das blaue Wunder mit Ihren Führungskräften erleben mussten und auf den wahren Kern unterschiedlichster Persönlichkeiten stiessen.
Geht der Stress los, dann verlieren viele die Contenance und flüchten sich in Verhaltensweisen, die zuweilen skurril bis bizarr sind. Zum Glück gibt es auch Führungskräfte, die ihren Verantwortungsbereich souverän durch die hohen Wellentäler steuern und mit stoischer Ruhe selbst Monsterwellen überwinden. Das Schiff ist vielleicht danach lädiert, aber immer noch über der Wasserlinie.
Gerade in Krisen sind flache Hierarchien und zerfledderte Strukturen nicht immer von Vorteil. Geht es drunter und drüber, dann kann man nicht basisdemokratische Entscheidungsfindungsmechanismen zelebrieren und auf alle zwischenmenschlichen Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. Es muss gehandelt und entschieden werden. Zuweilen brutal schnell und rücksichtslos, damit das Unternehmen oder die Organisation nicht absäuft und alle in den Abgrund reisst. Vielleicht mehr nach Instinkt als nach Wissen.
Das macht natürlich Angst und lähmt die Betroffenen. Diese sichern sich nach allen Seiten ab, indem sie nach Entscheidungshilfen in Form von Daten lechzen, um ihre Entscheidungen evidenzbasierend besser fällen zu können. Die Erkenntnisse zerfallen meistens vorher schon in sich zusammen, da Krisen zuweilen eine Dynamik annehmen können, die atemlos macht und eine gute mentale Kondition voraussetzt.
Es gibt Führungstypen, die während einer Krise besonders hervorstechen:
Der Überstrukturierte, dem das Plötzliche ein Gräuel ist
Von einem Tag auf den anderen brechen alle Dämme. Der Überstrukturierte ist total überfordert. Die Ereignisse überschlagen sich und werden immer intensiver. Der Überstrukturierte klammert sich an formale Prozesse, Vorgaben, Handbücher und Reglemente, in der Hoffnung die Krise hält sich auch daran und gibt artig nach. Der Überstrukturierte geht in der Regel schon nach kurzer Zeit unter, gibt die Schuld den Anderen, die sich gemäss seinen Anweisungen nur an die Regeln halten, obwohl alles aus dem Ruder läuft und gehen danach mit wehender Fahne unter. Hauptsache diese ist schön gebügelt und am Mast korrekt festgezurrt. Wenn eine solche Führungskraft den Sturm überlebt, kehrt sie schnurstracks zur alten Methodik zurück und hofft, dass die Krise nur ein Einzelereignis war, das die Ruhe störte. Bei der nächsten Krise, geht der Überstrukturierte in der Regel ganz unter, da jeder in der Zwischenzeit weiss, dass dessen Flexibilität so gross wie ein Bär im Winterschlaf ist. Der nächste Frühling kommt bestimmt. Schnarch gut.
Der Angsthase, der sich immer versteckt, wenn es brenzlig wird
Viele Führungskräfte treten mit einem imperialen Habitus auf und meinen auf einem Feldherrenhügel ihre unternehmerischen Streitkräfte in die Schlacht führen zu müssen. In der Regel bluten die anderen. Der Chef sitzt mit der herrischen Attitüde eines Feldmarschalls auf seinem hohen Ross und meint mit bellenden Befehlen seine Truppen anfeuern zu müssen.
Wendet sich jedoch das Kriegsglück und wird er angegriffen, dann macht er sich schneller aus dem Staub, als der Windhund auf der Rennbahn. Meisten merken die Truppen, respektive die Arbeitsteams erst viel später, dass der Chef eine Pfeife ist, die heizt aber nur Qualm erzeugt. Ist der Schweinwerfer an, dann stehen sie plötzlich wieder prominent im Lichtkegel, blecken die Zähne und zeigen schamlos ihre gut eingeölten Muskelpartien.
Kaum ist das Scheinwerferlicht aus, schrumpfen sie wieder auf Zwergenmass und machen sich vom Acker. Jetzt sollen die Anderen die heissen Kohlen aus dem Feuer holen. Der Angsthase ist schon lange wieder in seinem Bau und schaut aus sicherer Entfernung zu, wie Probleme gelöst werden. Geht das Scheinwerferlicht wieder an, darf man mit grosser Sicherheit davon ausgehen, dass er alle anderen von der Bühne stösst und erneut mit grosser Eitelkeit den Lorbeerkranz einfordert. Der Angsthase ist wieder Cäsar geworden. Solche Führungskräfte gibt es mehr als man denkt. Sie machen grossen Lärm, wirben gewaltig Staub auf, kosten viel und treiben das Umfeld in den Wahnsinn.
Der Echte, der im Sturm auch mal zugibt, dass ihm die Situation nicht ganz geheuer ist
Auch gute Führungskräfte, die schon manchen Sturm erlebt haben, erleben Anflüge von Selbstzweifel und Unsicherheit. Kommen Entscheidungen schnell genug, sind diese auch richtig und dürfen die vorliegenden Informationen auch als zutreffend taxiert werden? Viele Fragen, die plötzlich auftauchen und verunsichern. Die sturmerprobte Führungskraft wird plötzlich unsicher. In einem Anflug von einbrechender Zuversicht würde man sie jetzt lieber ein Stossgebet gen Himmel senden, das Tageshoroskop konsultieren oder die Kristallkugel aus der Schublade holen und in die Zukunft sehen. Der Selbstzweifel ist sympathisch und zeigt den Geführten auf, dass auch eine erfahrene Führungskraft einfach mal ratlos ist.
Jene Führungskräfte, die immer so tun, als ob sie alles im Griff haben, sind meistens auch diese, die dann ein Unternehmen mit voller Kolbenkraft in den Ruin treiben.
Stärke zeigen ist gut. Das Bekennen von vorübergehenden Unsicherheiten, weil die Intensität der Entscheidungen überfordern kann, ist sympathisch und zeigt auf, dass man nicht einfach kopflos was tut, damit man seiner Rolle gegen aussen gerecht wird, sondern sich unter Umständen nochmals alles in Ruhe überlegt, bevor man dann mit Überzeugung und Spannkraft Entscheidungen fällt.
Der Empathische, der weiss, dass sich Menschen ängstigen und zu Irrationalität neigen.
In Krisen haben Menschen Angst. Das ist eine normale Reaktion. Nur Haudegen, Hitzköpfe und Psychopathen fühlen nichts in der Krise, geben richtig Gas und lassen eine Schneise der Verwüstung zurück. Das Umfeld ist ihnen einerlei. Hauptsache das Ego wird zelebriert und man kann zeigen wer der Platzhirsch ist.
Alle sollen sehen, wer das Sagen hat. Ob das Schiff dabei mit Mann und Maus untergeht ist gleichgültig. Das einzige Rettungsboot ist sowieso für die Führungskraft reserviert. Empathische Führungskräfte sind nicht weinerliche Waschlappen, bei denen sich der Weltschmerz im Gesicht abbildet, sondern sind einfühlsame Menschen, die akzeptieren können, dass Mitarbeitende bei Gefahr irrational handeln und sich Sorgen machen, wenn links und rechts das Stabile, das Gewohnte und das Sichere einfach einbrechen und auf eine Kraterlandschaft blicken lässt, die viele ängstigt.
Eine gute Führungskraft schenkt solchen Menschen Zuversicht und Verständnis, damit sie auch in schwierigen Zeiten gute Leistungen erbringen können.
Druck ausüben, das Personal drangsalieren und es mit Entlassung zu bedrohen sind Führungstechniken die meistens zum Bumerang werden. Schon Martin Luther meinte, dass aus einem verzagten Arsch kein fröhlicher Furz kommt. Ist ein Psychopath an der Spitze des Unternehmens, dann wird er mit der betriebswirtschaftlichen Machete durchs Unternehmen stapfen und alles in Stücke hauen, das vor der Krise vermeintlich nicht nötig ist und nach der Krise von vitaler Wichtigkeit wäre. Der Empathische hält sich jedoch an die Weisheit: ‚Gouverner, c’est prévoir!‘
Der Umsetzer, der sich mit Mut der Gefahr stellt
Der Umsetzer lässt sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Er ist zuversichtlich und weiss, dass er über gutes Personal verfügt, das mit ihm durch schwierige Zeiten geht und auch dann noch solidarisch zu ihm steht, wenn alle Zeichen auf Sturm stehen. Die Menschen konnten mit einer solchen Führungskraft ein Urvertrauen aufbauen und wissen ebenso, dass sie nicht einfach Spielball von obskuren Entscheidungen sind.
Der Chef steht wie ein Fels in der Brandung und nichts kann ihm was anhaben. Er analysiert ruhig, entscheidet entschlossen und setzt umsichtig seine Absichten um. Er ist nicht allwissend und steht zu seinen Fehlern, weil er aufgrund seiner Lebensbildung und Intelligenz weiss, dass Menschen immer Fehler machen, aber gute Führungskräfte sich auch zutrauen, diese korrigieren zu können.
Der Umsetzer hat Respekt vor der Krise. Er muss sich aber nicht profilieren und jetzt allen zeigen, was er für ein Macker ist. Nüchtern und sachlich geht er ans Werk und versucht das Unternehmen durch alle Untiefen einer stürmischen Wirtschaft zu steuern. Er steht auch dann noch zu seinem Personal, wenn die unternehmerischen Ergebnisse nicht rosig sind. Vom Spruch ‚die Gewinne privat, die Schulden dem Staat‘ hält er nicht viel. Die Fähigkeiten des Personals sind unbezahlbar. Dieses jetzt einfach arbeitslos zu machen, damit man es nach der Krise wieder für viel Geld zurückgewinnen muss, ist nicht der Stil des Umsetzers. Der Umsetzer ist verlässlich und hält sich an Abmachungen. Er weiss, dass man Krisen zusammen besser meistert und nach einem Tief immer ein Hoch kommt.
Fazit:
Eine gute Führungskraft zu sein ist und bleibt eine Herausforderung. Manchmal ist diese Position auch eine Zumutung. In Krisen offenbaren viele den wahren Charakter ihres Führungsstils. Von arrogant über kompetent bis zynisch gibt es alles. Mitarbeitende und Unternehmen funktionieren nur gut, wenn engagierte Führungskräfte nicht sich selber in den Mittelpunkt des Geschehens stellen, sondern bescheiden, klug und kompetent durch die Krise führen und auch offen mal dazu stehen können, dass sie nicht allwissend und –könnend sind. Krisen sind in der Tat Chancen. Wer das begreift ist schon mal einen Schritt näher zum Guten.
(Der Text ist aufgrund der Einfachheit in männlicher Form abgefasst. Es gibt jedoch auch hervorragende Frauen als Führungskräfte. An diese richtet sich der Beitrag ebenso).