Nov 2

Temporärarbeit in Europa: Ein Blick über die Schweizer Grenzen.

Author: swissstaffing

Gilt Grossbritannien in Bezug auf Temporärarbeit als eher unregulierter Markt, sind die Niederlande hier so etwas wie die Vorreiter. Doch wie steht die Schweiz im internationalen Vergleich da? Wie viel Temporärarbeit wird in anderen Ländern geleistet? In welchen Branchen? Und wie ist die Temporärarbeit in anderen Ländern Europas organisiert und reguliert?

(Quelle : swissstaffing)

Die Temporärarbeit in der Schweiz ist in ständiger Bewegung. Wachstum und gesetzliche Neuerungen prägen das Geschehen. Der im Jahr 2010 in Kraft tretende Gesamtarbeitsvertrag für den Personalverleih wird einen weiteren Meilenstein darstellen, der die Temporärarbeit in der Schweiz formt. Doch auch im übrigen Europa steht die Temporärarbeit nicht still. Neben der Lockerung existierender Gesetze über die Temporärarbeit, wie z.B. in Dänemark oder Deutschland, und der erstmaligen offiziellen Zulassung dieser Arbeitsform in Ländern wie Tschechien oder Polen gibt es auch Anzeichen für eine stärkere Regulierung, so z.B. in Grossbritannien.

Eine wesentliche Rolle hierbei spielt die im Jahr 2008 erzielte Einigung über die EU-Richtlinie für die Zeitarbeit. Sie schreibt neu EU-weit die Prinzipien Equal Pay (gleicher Lohn für Festangestellte und temporär Beschäftigte) und Equal Treatment (Gleichbehandlung in Bezug auf weitere Arbeitsbedingungen) vor und lässt Abweichungen davon nur zu, wenn sich die Sozialpartner diesbezüglich vertraglich geeinigt haben.

Es lohnt sich, die Situation in anderen Ländern Europas näher zu betrachten, um die Geschehnisse in der Schweiz besser einordnen und Schlüsse für die Zukunft ziehen zu können. Zu berücksichtigen ist dabei aber, dass die Arbeitsform «Temporärarbeit» in den verschiedenen Ländern nicht immer ganz genau gleich definiert wird. Umfang und Struktur der Temporärarbeitsbranche Grossbritannien, Frankreich und die Niederlande gehören zu denjenigen europäischen Ländern, in denen die Temporärarbeit gemessen an der Erwerbsbevölkerung deutlich stärker verbreitet ist als in der Schweiz. Länder wie Dänemark und Schweden oder Deutschland und Österreich, die eine vergleichsweise geringe Verbreitung von Temporärarbeit kennen, haben dagegen alle in den letzten Jahren eine sehr dynamische Entwicklung dieser Arbeitsform erlebt.

Die Penetrationsrate der Temporärarbeit variiert zwischen 0,2 Prozent der Erwerbsbevölkerung in Griechenland und 4,8 Prozent in Grossbritannien. In den meisten Ländern, wie auch in der Schweiz, sind temporär Arbeitende im Vergleich mit den übrigen Beschäftigten überdurchschnittlich jung und in der Regel für gering bis mittel qualifizierte Jobs eingesetzt. Sie haben häufiger einen Migrationshintergrund als die übrigen Beschäftigten.

In vielen Ländern sind temporär Arbeitende im produzierenden Gewerbe überrepräsentiert. Die nordischen Länder (Grossbritannien, Niederlande, Dänemark, Norwegen) bilden diesbezüglich eine Ausnahme. Denn dort sind die temporär Arbeitenden vornehmlich im öffentlichen Sektor sowie in der Dienstleistung beschäftigt.

Arbeitsbedingungen und Regulierung unterscheiden sich stark

Die Motive der Einsatzbetriebe für den Einsatz von temporär Arbeitenden gleichen sich in den europäischen Ländern: Im Vordergrund stehen der Ausgleich von Schwankungen bzw. die Erhöhung der Flexibilität, die Verkleinerung der Stammbelegschaft und die Vertretung von Krankheits- oder Ferienabsenzen. Teilweise spielt die Rekrutierung eine wichtige Rolle, in manchen Fällen auch die Personalkostensenkung, insbesondere wenn für temporär Arbeitende nicht das Gebot von Equal Pay gilt. Ein Beispiel für einen relativ stark regulierten Temporärarbeitsmarkt ist Frankreich. Dort gilt der Grundsatz des Equal Pay per Gesetz.

Zusätzlich haben temporär Arbeitende Anspruch auf eine so genannte Prekaritätsprämie in der Höhe von 10 Prozent des Lohnes. Zudem leisten die Personaldienstleister in Frankreich einen Beitrag von 2,15 Prozent des Lohnes an einen Weiterbildungsfonds, aus dem Qualifizierungsmassnahmen für temporär Arbeitende finanziert werden. Im Jahr 2007 nahmen 12,3 Prozent der temporär Arbeitenden an einer solchen subventionierten Weiterbildung teil.

Strategisch begründete Flexibilität in Frankreich

Neben diesen lohn- und weiterbildungsmässigen Vorzügen gibt es in Frankreich verschiedene Einschränkungen der Temporärarbeit. So dürfen Temporärarbeitsverträge nicht länger als 18 Monate andauern. Will der Einsatzbetrieb eine Arbeitskraft nach dem Temporäreinsatz selbst befristet anstellen, so muss er sogar eine Karenzzeit von einem Drittel der vorherigen Einsatzzeit abwarten.

    Zweifelsohne als Schutz für die temporär Beschäftigten gedacht, stellt sich aber die Frage, ob diese Regelung nicht die Beschäftigungssicherheit verringert. Die französischen Personaldienstleister sind ferner insofern eingeschränkt, als dass nur für drei definierte Gründe temporär Arbeitende zur Verfügung gestellt werden dürfen:  die Vertretung von Stammbeschäftigten,  der Ausgleich von zeitweiligen Auftragsschwankungen und der Einsatz in Bereichen, für die keine unbefristeten Einstellungen vorgenommen werden (z.B. Landwirtschaft oder Tourismus).

    Wenn Firmen, wie es beispielsweise in der Schweiz zu beobachten ist, aus strategischen Gründen ihre Belegschaft mit Temporärarbeit generell flexibilisieren wollen, dann ist das in Frankreich nicht möglich.

    Grossbritannien: Temporärarbeit weitgehend unreguliert

    Grossbritannien gilt demgegenüber als weitgehend unregulierter Temporärarbeitsmarkt. Regulierungsansätze waren in diesem Land bislang kaum vorhanden. Einzig der gesetzliche Mindestlohn dürfte auf diejenigen temporär Arbeitenden, die unselbständig erwerbend waren, Anwendung gefunden haben. In Grossbritannien ist allerdings ein nicht unerheblicher Teil der temporär Beschäftigten als so genannte Contractors selbständig erwerbend. Der Personaldienstleister übernimmt dann nur die Vermittlung und Administration der Partnerschaft zwischen Contractor und Einsatzbetrieb, ist aber nicht der Arbeitgeber. Angestossen durch die Debatte um die Zeitarbeits-Richtlinie auf EU-Ebene haben sich die britischen Gewerkschaften, Arbeitgeber und die Regierung im Jahr 2008 nun aber darauf geeinigt, temporär Arbeitenden künftig nach zwölf Einsatzwochen Equal Treatment zu gewähren.

    Die Niederlande, welche als Vorbild für die Verbindung von Flexibilität und Sicherheit am Arbeitsmarkt bekannt sind, kennen auch in Bezug auf die Temporärarbeit ein Flexicurity-Modell. Der niederländische GAV stuft die arbeitsvertraglichen Ansprüche nach der Einsatzdauer ab.

    Temporär Arbeitende, welche länger als eineinhalb Jahre bei einem bestimmten Personaldienstleister angestellt sind, haben auch in verleihfreien Zeiten (für eine gewisse Dauer) Anspruch auf Lohnfortzahlung. Nach dreieinhalb Jahren bei einem bestimmten Personaldienstleister haben temporär Beschäftigte gar Anspruch auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Allerdings dürften nur wenige so lange Einsatzzeiten erreichen. Das Gebot von Equal Pay ist in den Niederlanden zwar gesetzlich vorgeschrieben. Gesamtarbeitsvertraglich kann aber davon abgewichen werden, was im niederländischen GAV auch getan wird. So gibt es für diverse Beschäftigtengruppen, wie beispielsweise unter 23-Jährige, gering Qualifizierte oder Schulabgänger, abgesenkte Tarife. Erst nach sechs Monaten eines Einsatzes schreibt der GAV Equal Pay vor. Auch in Dänemark ist die Temporärarbeit in erster Linie sozialpartnerschaftlich geregelt.

    Typischerweise für Länder mit starker sozialpartnerschaftlicher Regelung der Temporärarbeit – wie auch Schweden, Österreich oder die Schweiz – sind in Dänemark hinsichtlich der Löhne und der Arbeitszeitbedingungen die Bedingungen im Einsatzbetrieb massgebend.

    Ebenfalls analog zur GAV-Lösung in den Niederlanden gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz (Equal Treatment) punkto Rente, Urlaub und Krankheit in Dänemark erst ab einer gewissen Beschäftigungsfrist (sechs bis neun Monate).

    GAV teilt Prinzipien der Regelungen in anderen Ländern

    Die Regelung der Temporärarbeit in der Schweiz ist insofern eine liberale, als dass per Gesetz keine Einschränkungen punkto Einsatzbranche, -zeit oder -gründe bestehen. Handkehrum schreibt das Arbeitsvermittlungsgesetz aber in Branchen mit allgemeinverbindlich erklärtem GAV das Gebot des Equal Treatment vor. Der geplante GAV Personalverleih teilt die Prinzipien der gesamtarbeitsvertraglichen Regelungen in anderen europäischen Ländern. Die Ausdehnung des Equal-Treatment-Grundsatzes auf weitere Branchen sowie die Abstufung arbeitsvertraglicher Rechte – wie die berufliche Vorsorge, die Lohnfortzahlung bei Krankheit und die Feiertagsentschädigung – nach der Einsatzdauer findet man, wie beschrieben, auch in anderen Ländern.

    Diese Abstufung bedeutet eine Abweichung vom Equal-Treatment-Prinzip, was durch die EU-Richtlinie über Zeitarbeit aber gedeckt ist, weil sie eine Derogation im Rahmen von Gesamtarbeitsverträgen zulässt. Hervorzuheben ist hierbei, dass die im GAV Personalverleih vorgesehene Regel, Temporäreinsätze bei demselben Personaldienstleister zusammenzuzählen, einen weiteren Vorzug für die temporär Beschäftigten darstellt, der allerdings ebenfalls in anderen Ländern, wie beispielsweise den Niederlanden, angewendet wird.

    Schweiz mit Weiterbildungsfonds eher am unteren Ende der Skala

    Der Schweizer Fall bestätigt, dass auch in Ländern ohne allzu weit reichende Gesetze dank sozialpartnerschaftlicher Regelungen den Interessen der temporär Beschäftigten Rechnung getragen wird. Dass der geplante GAV Personalverleih ausserhalb der Branchen mit Equal Treatment eigene Mindestlöhne und Sozialleistungen festsetzt und ferner für alle temporär Arbeitenden einen Weiterbildungsfonds etabliert, sind Beispiele dafür. Wie gezeigt wurde, verfügen auch etliche andere europäische Länder über einen Weiterbildungsfonds für temporär Arbeitende, der übrigens auch den Personaldienstleistern in ihrer Qualität als Arbeitgeber der temporär Beschäftigten zugute kommt.

    Der Lohnbeitrag, der dafür eingesetzt wird, variiert zwischen 0,5 Prozent (Belgien) und 2,15 Prozent (Frankreich). Der in der Schweiz vorgesehene Beitrag von 0,4 Prozent ist demzufolge ein eher bescheidener. Im Laufe der Zeit wird sich zeigen, wie viele Schweizer temporär Beschäftigte mit diesem Beitrag unterstützt werden können.

    In Abhängigkeit der effektiven Nachfrage nach Weiterbildungsunterstützung wird eine Anhebung des Beitrages in Zukunft möglicherweise zu diskutieren sein.