Jun 10

«Alt, weiss, männlich, satt versus jung, asiatisch, weiblich, hungrig»

Author: swissstaffing

Vor welchen Herausforderungen steht die Personaldienstleistungsbranche im Jahr 2010 ? Wie steht es um die wirtschaftliche Erholung und den Fachkräftemangel in der Schweiz ? Erleben wir eine Renaissance der Industrie in unserem Land – oder wandert diese (weiter) nach Osten ab ? (ein Beitrag von: swisstaffing).

Diese und weitere Fragen wurden am 3. Staffingday 2010 vor über 300 Gästen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und diskutiert. Wiederum zeichnete Swissstaffing den besten temporär Arbeitenden und den besten Temporärunternehmer des Jahres aus.

Zuversichtlich bezüglich der wirtschaftlichen Erholung zeigte sich der Präsident von Swissstaffing, Charles Bélaz, in seinen einleitenden Worten: Wohl sei der Umsatz des Personalverleihs im Jahr 2009 mit gut 4 Mrd. Fr. um rund 20 % zurückgegangen. Die Entwicklung des Branchenumsatzes in den letzten 20 Jahren zeige jedoch, dass nach jeder Rezession der nächste Aufschwung zu neuen Höhepunkten führte.

Die Sicht des Personaldienstleister …

Patrick De Maeseneire, CEO der Adecco Group, kam zuerst auf den Lebenszyklus einer Firma und auf den Arbeitslebenszyklus der Arbeitnehmenden zu sprechen. Eine Temporärfirma tue gut daran, ihre Dienstleistungen sowohl den Arbeitgebern als auch den Arbeitnehmenden auf diese Zyklen abgestimmt anzubieten. Und wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt aus Sicht des Personaldienstleisters? Der Adecco-CEO zeigte sich weniger optimistisch: Die Beschäftigung wird seiner Meinung nach das hohe Vorkrisenniveau nicht mehr erreichen. Drei Faktoren seien prägend für die arbeitsmarktliche Entwicklung:

  • Demografischer Wandel: Patrick De Maeseneire betonte, dass dieser nicht nur im Westen und in Japan stattfinde, sondern auch in einigen Schwellenländern. Sogar China werde auf Grund der Geburtenregulierung in nicht allzu ferner Zukunft vor diesem Phänomen stehen
  • Just-in-time-Produktion / Flexibilität: Im Zuge der Krise seien die Lager massiv abgebaut worden. Wenn die Nachfrage nun wieder anziehe, würden die Unternehmen temporär Arbeitende einstellen, um die Nachfrage kurzfristig abdecken zu können, ohne längerfristige Verpflichtungen einzugehen. Dieser Trend in Richtung Flexibilität und Just-intime-Produktion wird sich laut Patrick De Mae seneire weiter fortsetzen – positiv für seine Branche
  • Produktionsverlagerung Richtung Osten: Diese Verlagerung Richtung Osten finde u. a. wegen der tieferen Produktionskosten statt. Ein wichtiges Argument sei aber auch, dass sich dort die grossen Absatzmärkte der Zukunft befänden. Eine Konsequenz dieser Verlagerung sei ein Überangebot an gering qualifizierten Arbeitnehmenden in den Industrieländern, deren Arbeitslosenquote auf hohem Niveau bleiben werde.

Der Adecco-CEO plädierte dafür, dass man diese Menschen durch Weiterbildung weiter qualifiziert und so in den Arbeitsmarkt integriert. Dem Überangebot an Geringqualifzierten stehe der Mangel an qualifizierten Fachkräften gegenüber – ein Problem, das sich in vielen Industrieländern stelle, und dessen Lösung nach Patrick De Maeseneire u. a. in der Mobilität der Arbeitskräfte zu finden ist.

Die Schweiz habe mit der Personenfreizügigkeit mit der EU und gezielter, kontrollierter Immigration aus Drittstaaten einen adäquaten Weg gewählt. Denn genug qualifizierte Leute gebe es, bloss seien diese nicht alle innerhalb Europas zu finden.

… und was der CEO eines Think-Tanks dazu sagt

Eine rasante und prägnante Replik auf das Referat des Adecco-CEO lieferte Dr. David Bosshart, CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts. Alt, weiss, männlich, satt: Das seien die Attribute der Vergangenheit. Jene der Zukunft: Jung, asiatisch, weiblich und hungrig. Der Westen stehe also vor und mitten in grossen Veränderungen, denn die idealen Rahmenbedingungen, die der Ost- West-Konflikt in der Nachkriegszeit geliefert habe, seien verschwunden. Der nationale Wohlfahrtsstaat, ein Kind dieser Zeit, sei herausgefordert, und mit ihm die Gesellschaft. Denn welche Berechtigung gebe es in der westlichen Wissensgesellschaft für die Pensionierung mit 65 Jahren?

Wissensarbeitende seien schliesslich weit über 65 hinaus fit und leistungsfähig. Doch bewirke diese Wissensgesellschaft eine permanente Unsicherheit und Hinterfragung, denn Wissen sei schnell veraltet, nichts beständig.

Durch den tief greifenden Wertewandel, wo sich nichts an der Vergangenheit orientiere, wo es keine Vorbilder gebe, sondern nur selbst definierte Benchmarks, gehe es einzig um die Frage: «What is your expiry date?» Die Konsequenz davon: Mythen, Gerüchte und Geschichten – mit der Finanzkrise als lebendigem Beispiel, wohin solche Mythen führen könnten.

Und wie geht die Jugend mit diesen neuen Rahmenbedingungen um? Sie erkannten ihre Möglichkeiten, nutzten diese, setzten vermehrt auf Emotionen, definierten sich ihre Benchmarks selbst. Damit, so schloss David Bosshart, seien die zukünftigen Generationen der Arbeitnehmenden selbständiger, organisierten sich selbst – und könnten auf die unnötige Bürokratie der Personaldienstleister eigentlich verzichten.

Potenzial Motivation als wichtiger Wettbewerbsfaktor

Unter Leitung des Publizisten Roger de Weck diskutierten die beiden Referenten anschliessend mit Dr. Serge Gaillard, Leiter der Direktion für Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), und Prof. Dr. Norbert Thom, Direktor des Instituts für Organisation und Personal der Universität Bern: Wie steht es um die Motivation der Jugend in der westlichen Welt? Gezielte Rekrutierung von Fachkräften aus kulturell fremden Ländern ja, doch wo sind die Grenzen der Zuwanderung und der Integration?

Für Norbert Thom sprechen einige Faktoren für die Schweiz, so Infrastruktur, Organisation und Technologien. Wo es hapere, sei die Motivation.

Motivation ist jedoch laut David Bosshart nebst Kreativität und Wissen der Wettbewerbsfaktor der Zukunft. Steht es schlecht um die Schweiz mit ihrem Motivationsmangel? Serge Gaillard relativierte: Verglichen mit den 1990er- Jahren, als tatsächlich Pessimismus vorgeherrscht habe, sei das heutige Motivationsdefizit keineswegs dramatisch. Auch Patrick De Maeseneire relativierte den Motivationsmangel in der Schweiz. Dies mit dem Verweis auf andere europäische Länder, wo eine ganze Generation von jungen Menschen – vorwiegend mit Migrationshintergrund – in den Vorstädten der Metropolen ohne Perspektiven aufwachse. Dort existiere ein problematisches Motivationsdefizit. Und wo sind die Grenzen der Zuwanderung? Für David Bosshart ist klar: Es braucht die Zuwanderung, doch an einem gewissen Punkt stosse ein Land wie die Schweiz bei der Integration an ihre Grenzen. Serge Gaillard wies auf die praktischen Konsequenzen der Zuwanderung hin:

Mit der Zuwanderung wachse die Bevölkerung weiter, was eine kontinuierliche Anpassung der Infrastruktur bzgl. Verkehr, Wohnraum, Energie usw. erfordere und auch da gebe es Grenzen.