Okt 23

Das Dogma des ‚Zero-Gap‘: Weshalb die Arbeitswelt im Widerspruch zur modernen Realität steht.

Author: PersonalRadar

In Zeiten rasanter Technologieentwicklungen, einer sich ständig verändernden Arbeitslandschaft und der fortschreitenden Digitalisierung könnten Lebensläufe, die Vielfalt und Anpassungsfähigkeit widerspiegeln, als grosser Vorteil angesehen werden.

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Doch trotz dieses Paradigmenwechsels bleibt der Arbeitsmarkt paradoxerweise an veralteten Rekrutierungsmethoden hängen. Das ‚Zero-Gap‘-Verhalten, bei dem Arbeitgeber starr an ihrem Wunschprofil festhalten, stellt einen solchen Fall dar.

Das Festhalten am Bewährten: Die Psychologie des ‚Zero-Gap‘-Verhaltens

Menschen neigen dazu, an dem festzuhalten, was sie kennen – besonders in unsicheren Zeiten. Für Unternehmen bedeutet das Festhalten an starren Rekrutierungskriterien eine Art Kontrolle und Vorhersehbarkeit in einer ansonsten unvorhersehbaren Welt. Das ‚Zero-Gap‘-Verhalten kann als eine Abwehrhaltung gegen das Unbekannte interpretiert werden. Es ist einfacher, perfekte Kandidaten:innen gemäss einem vorgegebenen Profil zu suchen, als das Risiko einzugehen, jemanden einzustellen, der zwar über Kompetenzen und Erfahrungen verfügt, aber nicht genau dem gewünschten Muster entspricht.

Obwohl viele Branchen über Fachkräftemangel klagen, sind sie paradoxerweise nicht bereit, ihre Rekrutierungsstrategien anzupassen. Dieses Verhalten kann längerfristig zu einem ‘Mismatch’ führen, bei dem qualifizierte Bewerber:innen, die nicht dem traditionellen Profil entsprechen, übersehen werden, während Unternehmen weiterhin über unbesetzte Positionen klagen.

Nachteile des ‚Zero-Gap‘-Verhaltens: Drei Beispiele und ihre Konsequenzen

  • Begrenzung der Kreativität und Innovation: Ein Unternehmen, das stets nach dem gleichen Profil sucht, läuft Gefahr, ein homogenes Team zu schaffen. Homogenität kann Innovation und Kreativität begrenzen, da verschiedene Perspektiven und Hintergründe fehlen, die neue Ideen und Ansätze einbringen. Konsequenz: Ein Technologieunternehmen, das sich nur auf Bewerbende mit einem bestimmten Bildungsprofil konzentriert, könnte eine revolutionäre App oder Plattform verpassen, die von jemandem mit einem unkonventionellen Hintergrund entwickelt wurde.
  • Verpasste Chancen in einem diversen Markt: Unternehmen, die sich nur auf bestimmte Kandidatenprofile konzentrieren, könnten potenzielle Marktchancen verpassen. Ein diverses Team kann ein breiteres Verständnis für verschiedene Kundengruppen bieten. Konsequenz: Ein Kosmetikunternehmen, das sich hauptsächlich auf Bewerbende eines bestimmten Geschlechts oder Alters konzentriert, könnte den wachsenden Markt für Männerkosmetik oder Produkte für ältere Menschen übersehen.
  • Erhöhte Fluktuation und Vakanzzeiten: Ein starres Rekrutierungsverhalten kann dazu führen, dass qualifizierte Bewerbende, die nicht ins vorgegebene Raster passen, abgelehnt werden. Dies kann zu längeren Vakanzzeiten und häufigeren Personalwechseln führen, da die eingestellten Personen möglicherweise nicht die besten für die Position sind. Konsequenz: Ein Finanzunternehmen, das stets Absolventen von Top-Universitäten einstellt, könnte feststellen, dass diese Mitarbeitende oft nach besseren Angeboten suchen und das Unternehmen regelmässig verlassen, was zu hohen Kosten für die Rekrutierung und Einarbeitung neuer Mitarbeitenden führt.

Notwendigkeit von Flexibilität in einer digitalen Ära

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Die moderne Welt erfordert Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft. Philosophisch betrachtet repräsentiert das ‚Zero-Gap‘-Verhalten ein überholtes Denkmuster, das in einer dynamischen und komplexen Welt nicht mehr haltbar ist. Das Bestehen auf linearen Lebensläufen in einer nicht-linearen Welt zeigt einen Mangel an Weitsicht und Anpassungsfähigkeit.

Die Angst vor dem Neuen

Hinter dem ‚Zero-Gap‘-Verhalten könnte auch eine tiefe menschliche Angst vor dem Unbekannten stehen. Es stellt sich die Frage, ob Unternehmen, die an starren Rekrutierungsmustern festhalten, in Wirklichkeit versuchen, ihre eigene Unsicherheit und Angst vor dem Neuen zu bewältigen.

Das ‚Zero-Gap‘-Verhalten ist nicht nur ein Anzeichen für veraltete Rekrutierungsstrategien, sondern auch ein Indikator für tiefer liegende Probleme in der Organisationskultur und -philosophie.

Die Konsequenzen sind vielfältig und betreffen sowohl den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens als auch dessen Fähigkeit, in einer sich ständig verändernden Welt wettbewerbsfähig zu bleiben. Unternehmen müssen sich der Gefahren einer solchen Vorgehensweise bewusst sein und proaktiv Strategien entwickeln, um Vielfalt und Flexibilität zu fördern.

Es ist höchste Zeit, dass die Arbeitswelt ihre starren Strukturen überdenkt und sich der modernen Realität stellt. Nur durch Akzeptanz von Diversität und Offenheit für unterschiedliche Karrierepfade können Unternehmen ihre Wettbewerbsposition stärken und zukunftsfähig bleiben.

Massnahmen gegen das ‚Zero-Gap‘-Verhalten in der Rekrutierung

a.) Bewusstseinsbildung und Schulung der HR-Abteilungen: Die Personalabteilungen sollten in Schulungen und Workshops über die Nachteile des ‚Zero-Gap‘-Verhaltens und die Vorteile von Vielfalt und Inklusion informiert werden.

b.) Überarbeitung der Stellenbeschreibungen: Statt konkreter, enger Anforderungsprofile sollten Stellenbeschreibungen kompetenzbasiert gestaltet werden, d.h. sie sollten sich auf die tatsächlich benötigten Fähigkeiten und Fertigkeiten konzentrieren und nicht auf spezifische Abschlüsse oder Karrierepfade.

c.) Blindbewerbungsverfahren: Hierbei werden alle persönlichen Informationen, die zu Vorurteilen führen könnten (z.B. Name, Geschlecht, Alter), aus den Bewerbungen entfernt, sodass die Vorauswahl ausschliesslich auf Qualifikationen und Erfahrungen basiert. Dieses Verfahren ist in den USA weit verbreitet. In Europa hat es sich noch nicht flächendeckend durchgesetzt.

d.) Strukturierte Interviews: Durch den Einsatz standardisierter Fragen und Bewertungskriterien können Interviewer besser objektivieren und unbewusste Vorurteile minimieren.

e.) Diversität und Inklusion fördern: Unternehmen sollten aktiv nach Bewerbenden aus verschiedenen Hintergründen suchen und sicherstellen, dass sie eine inklusive Arbeitsumgebung bieten, in der alle Mitarbeitende gleiche Chancen haben.

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f.) Mentoring- und Patenschaftsprogramme: Solche Programme können dabei helfen, neue Mitarbeitende, die nicht dem traditionellen Profil entsprechen, erfolgreich ins Unternehmen zu integrieren.

g.) Feedback- und Überprüfungsmechanismen: Unternehmen sollten regelmässig ihre Rekrutierungspraktiken überprüfen und Feedback von Mitarbeitenden und Bewerbenden einholen, um kontinuierliche Verbesserungen vorzunehmen.

h.) Flexibilität bei der Berufserfahrung: Anstatt eine bestimmte Anzahl von Jahren in einem spezifischen Bereich zu verlangen, sollten Unternehmen offen für äquivalente Erfahrungen in anderen Bereichen oder Branchen sein.

i.) Einführung eines Diversitätsbeauftragten (Grossfirmen): Ein/e solche/r Beauftragte/r könnte sicherstellen, dass Vielfalt und Inklusion im Rekrutierungsprozess und in anderen Unternehmensbereichen gefördert werden.

j.) Partnerschaften mit Organisationen: Unternehmen könnten Partnerschaften mit Bildungseinrichtungen und Organisationen eingehen, die sich auf die Ausbildung und Integration von Menschen aus unterschiedlichen Hintergründen spezialisiert haben.

k.) Technologie nutzen: Mit Hilfe von KI und anderen Technologien können Unternehmen den Rekrutierungsprozess objektivieren und sicherstellen, dass sie die besten Kandidaten:innen auf der Grundlage ihrer Fähigkeiten und nicht aufgrund von Vorurteilen auswählen.

l.) Förderung von lebenslangem Lernen: Anstatt sich ausschliesslich auf vorhandene Qualifikationen zu konzentrieren, könnten Unternehmen die Bereitschaft und Fähigkeit zur Weiterbildung und Anpassung an neue Situationen betonen und fördern.

Die Implementierung dieser Massnahmen kann nicht nur dabei helfen, das ‚Zero-Gap‘-Verhalten zu überwinden, sondern auch dazu beitragen, dass Unternehmen von einer vielfältigeren und inklusiveren Belegschaft profitieren, die besser in der Lage ist, sich an die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt anzupassen.

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