Personaldienstleister des 21. Jahrhunderts im Wandel
Die Arbeitsmärkte Europas stehen vor grossen Herausforderungen: zunehmende Globalisierung, demografische Alterung und politische Auseinandersetzungen um die adäquate Reaktion auf diese Trends. Welche Rolle kommt den Personaldienstleistern in diesem sich wandelnden Umfeld zu? (Quelle: swissstaffing)
Die Zukunft des Arbeitsmarktes: Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften
Mit der Globalisierung hat sich der Wettbewerb für viele Unternehmen verschärft. Sie fragen vermehrt nach flexibler Arbeit und verlagern gewisse Produktionszweige – vor allem einfache und repetitive Tätigkeiten – ins Ausland. Dadurch, so Charles Bélaz, Präsident swissstaffing, steigen die Anforderungen an die Arbeitnehmenden und es gibt Arbeitnehmergruppen, die sich schwer in den Arbeitsmarkt integrieren lassen. Die Technologisierung trägt das ihrige zu diesem Trend bei. Insgesamt führt dies zu einer paradoxen Situation: Immer wieder bleiben Arbeitsstellen unbesetzt, weil qualifiziertes Personal fehlt. Gleichzeitig sind aber Menschen arbeitslos, weil es keine für sie geeigneten Stellen gibt. Anders gesagt: Das Arbeitsangebot und die Arbeitsnachfrage divergieren.
Der Mangel an qualifizierten Arbeitnehmenden erzeugt eine angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt für Qualifizierte, während Überkapazitäten von niedrig qualifizierten Arbeitnehmenden die Arbeitslosigkeit in diesem Segment steigen lassen.
Mit Blick auf die Zukunft erwartet die Schweiz eine weitere Herausforderung – die demografische Alterung. Sie ist, so Georg Staub, Direktor swissstaffing, eine unumgängliche Realität, der heute noch zu wenig Beachtung geschenkt wird. Die geburtenreiche Babyboom- Generation – derzeit in ihren Vierzigern – trägt heute noch wesentlich zur Erwerbsbevölkerung bei.
Bis in etwa 25 Jahren werden die Babyboomers aber das Rentenalter erreichen und somit aus der Erwerbsbevölkerung ausscheiden.
Die nachfolgenden, geburtenärmeren Generationen werden diesen Abgang nicht kompensieren können. In der Folge werden weniger Erwerbstätige unseren Wohlstand produzieren und die Sozialwerke finanzieren müssen. Die steigende Lebenserwartung, längere Ausbildungszeiten und der zunehmende Trend zur Frühpensionierung verschärfen den Trend. Fallen heute auf 100 Erwerbspersonen im Alter von 20 bis 64 Jahren 32 Renterinnen und Rentner (65-Jährige und Ältere), werden es im Jahr 2030 bereits 50 Renterinnen und Rentner sein und im Jahr 2050 voraussichtlich sogar 59. Welches sind Handlungsalternativen, um auf diese Trends zu reagieren?
Laut Charles Bélaz liegt eine mögliche, aber nicht ausschliessliche Antwort auf die Verknappung der Arbeitskräfte in der Auslandsrekrutierung.
Da unsere Nachbarländer mit denselben Entwicklungen zu kämpfen haben werden wie wir, ist damit zu rechnen, dass ein europaweiter Wettbewerb um Arbeitskräfte entbrennt.
Mit der bisherigen Strategie der Rekrutierung im nahen Ausland wird die Schweiz ihre Bedürfnisse nicht mehr alleine decken können. Weitere Lösungen sieht Bélaz daher in der Stärkung der Erwerbsquote von Menschen mit Behinderung, von Frauen und älteren Arbeitnehmenden (50- Jährige und Ältere). Von der Kultur der Frühpensionierung müsse man unbedingt wegkommen. Auch eine Umschulung von Falsch- oder Unterqualifizierten könne helfen, die Zahl der Erwerbstätigen zu steigern. Thomas Daum, Direktor Schweizerischer Arbeitgeberverband, pflichtet Bélaz bei. Die Auslandsrekrutierung funktioniere nicht als Lösung, da der Mangel an Arbeitskräften ganz Europa erfassen werde. Darum setzt Daum vor allem auf eine gute Ausbildung als Mittel zur Erweiterung des Pools an qualifizierten Fachkräften. Auch Alex Beck, Avenir Suisse, verspricht sich von der Auslandsrekrutierung – selbst in Osteuropa – keine gravierende Linderung der Situation. Der Wohlstand in den osteuropäischen Ländern werde ansteigen und damit der Anreiz zur Auswanderung (in die Schweiz) sinken.
Etwas anders argumentiert Paul Rechsteiner, Präsident Schweizerischer Gewerkschaftsbund. Die Knappheit an Arbeitskräften sei noch nicht eingetreten. Falls sie eintritt, werde der Schweiz ein Reservoir an älteren, gut qualifizierten Personen zur Verfügung stehen.
Es sei wichtig, dass ältere Arbeitnehmende mehr geschätzt würden. Ebenso müsse die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefördert werden, um die Erwerbsquote der Frauen zu stärken.
Auch laut Pierre Triponez, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, gibt es noch ein unausgeschöpftes Potenzial an Arbeitskräften. Das Problem läge beim Berufseinstieg, der erleichtert werden müsse. Nach wie vor gäbe es viele Jobs, wo manuell gearbeitet wird. Mit dem Institut der Lehre verfüge die Schweiz über ein gutes Instrument zur Besetzung dieser Arbeitsplätze. Fazit: Die Rekrutierung im näheren Ausland dürfte zunehmend schwieriger werden und überdies auf politischen Gegendruck stossen.
Die Stärkung der inländischen Erwerbsquote – bei Frauen und älteren Arbeitnehmenden – dürfte politisch weniger umstritten sein, bedingt aber ein gewisses Umdenken, sowohl was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf betrifft als auch was die Integration von älteren Arbeitnehmenden betrifft. Im internationalen Vergleich sind die Handlungsspielräume für die Schweiz allerdings bescheiden, verzeichnet sie doch sowohl in Bezug auf Frauen als auch auf ältere Arbeitnehmende bereits relativ hohe Erwerbsquoten. Es wird also, so Georg Staub, nötig sein, an allen Fronten zu kämpfen und den Stand- bzw. Arbeitsort Schweiz attraktiv und international wettbewerbsfähig zu erhalten. Die Ausgestaltung des Ausbildungs- und Hochschulwesens entscheidet darüber, ob das inländische Angebot an Arbeitskräften der Firmennachfrage entspricht. Es entscheidet aber auch darüber, ob Menschen aus dem Ausland bereit sind, sich in der Schweiz (für längere Zeit) niederzulassen, sich hier auszubilden und als Arbeitskraft zum Schweizer Wohlstand beizutragen. Und es entscheidet letztlich darüber, ob internationale Firmen in der Schweiz passend qualifiziertes Personal antreffen und sich hier niederlassen.
Angesichts der demografischen Alterung muss auch die Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme überdacht werden. Zu hohe Sozialbeiträge belasten sowohl die Arbeitnehmenden als auch die Unternehmen und senken die Attraktivität des Standorts Schweiz.
Eine Erhöhung des Rentenalters darf daher nicht mehr länger als Lösungsansatz verweigert werden. Als dritter Faktor ist die Regulierung des Arbeitsmarkts zu nennen. Auch sie entscheidet über die Attraktivität des Standorts Schweiz für multinationale Unternehmen und über deren Beitrag zum Schweizer Wohlstand in Form von Arbeitsplätzen und Steuerbeiträgen. Bisher war die Schweiz mit ihrem im internationalen – bzw. vor allem im europäischen – Vergleich liberalen Arbeitsmarkt in dieser Hinsicht deutlich im Vorsprung gegenüber manchen Ländern. Will sie diese Position in Zukunft behalten, darf sie sich aber nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Etliche andere europäische Länder – allen voran die osteuropäischen – haben die Vorzüge günstiger Steuersysteme und liberaler Arbeitsmärkte nämlich auch erkannt. Die Zuwanderungspolitik bildet schliesslich die vierte und letzte Front. Zur Deckung der schweizerischen Arbeitsnachfrage kann es notwendig werden, ausländische Arbeitskräfte zu rekrutieren. Da das nahe Ausland mit denselben ekrutierungsengpässen konfrontiert sein wird, muss eine vermehrte Rekrutierung im fernen Ausland – zum Beispiel in Indien oder China – angedacht werden. Im Gegensatz zur Migrationspolitik im EU-Raum, die von der Personenfreizügigkeit geprägt ist, ist die Schweiz in Bezug auf fernere Länder frei, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Zuwanderungspolitik zu definieren und die Zuwanderung beispielsweise vom Qualifikationsprofil der Migrantinnen und Migranten abhängig zu machen. Erste Bestrebungen in diese Richtung laufen, wie bekannt ist. Besondere Gefahren für die Schweiz liegen laut Georg Staub in einer gewissen, durch den Wohlstand erzeugten Lähmung von Politik, Arbeitgebern und Arbeitnehmenden und in der Verweigerung, die auf die Schweiz zukommende Entwicklung anzuerkennen. Die Verweigerungshaltung führe dazu, dass auf die global organisierte Wirtschaft und die global formulierte Wirtschaftspolitik mit einem national organisierten Arbeitsmarkt und einer emotional geführten Arbeitsmarktpolitik geantwortet würde.
Die Zukunft der Personaldienstleister: vom Arbeitskräftelieferant zum Anbieter von HR-Lösungen
Globalisierung und demografische Alterung und die sich ergebenden Umwälzungen am Arbeitsmarkt wirken sich naturgemäss stark auf die Branche der Personaldienstleister aus. Am diesjährigen Strategiemeeting des Branchenverbandes swissstaffing wurden Chancen und Risiken für die Personaldienstleister diskutiert:
Als Chance sieht Simone Nijsen, Vorstandsmitglied swissstaffing, die Flexibilisierungstendenzen der Unternehmen, welche die Flexibilisierung als strategisches Ziel verfolgen. Wenn Firmen heute temporäres Personal einsetzen, sei dies nicht bloss zum Ausgleich von Spitzen, sondern Ausdruck einer gewandelten Unternehmensstrategie. Auch Georg Staub stellt eine Verschiebung fest von der ursprünglichen Funktion der Temporärarbeit – Ausgleich von Spitzen und Ferienvertretungen – hin zu einem gewandelten Modell der Belegschaft. Viele Unternehmen tendieren heute dazu, einen die feste Stammbelegschaft (Core) ergänzenden, flexiblen Personalbestand (Periphery) aufzubauen, um besser auf die Schnelllebigkeit am Markt reagieren zu können und ihre Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Der stärkere Fokus auf die Firmenkernkompetenz veranlasst die Unternehmen überdies, gewisse Aufgaben gänzlich auszulagern (Outsource).
Ganz im Sinn der Outsourcing-Idee sieht auch Leif Agnéus, Vorstandsmitglied swissstaffing, die Personaldienstleister der Zukunft als Erbringer von kompletten HR-Lösungen, die den Firmenkunden eine Spezialisierung auf ihre Kernkompetenz ermöglichen.
Das Personaldienstleistungsbüro als reiner Lieferant von Arbeitskräftengehöre je länger, je mehr der Vergangenheit an. Anderseits müssten, so Agnéus, die Personaldienstleister in Zukunft auch vermehrt Verantwortung für die Karriere ihrer (temporären) Mitarbeitenden übernehmen und ihnen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten anbieten.
Als weitere Chance und Herausforderung nennt Hanspeter Widmer, Vorstandsmitglied swissstaffing, die neuen technologischen Hilfsmittel. Er entwirft das Szenario eines Personaldienstleisters im Jahr 2027, der ein Beratungs- Callcenter in Südafrika betreibt mit Personalberatenden, die via Webcam in verschiedensten Sprachen Vorstellungsgespräche führen. Dass sich die Bedürfnisse auch auf Seiten der Arbeitnehmenden ändern, ist laut Martin Ziegler, Vorstandsbeisitzer swissstaffing, eine zusätzliche Chance. Er stellt eine gestiegene Bereitschaft fest, die Stelle zu wechseln. Die demografische Alterung wird von den Vorstandsmitgliedern zugleich als Chance als auch als Risiko wahrgenommen. Bereits heute haben die Personaldienstleister Erfahrung in Verleih und Vermittlung von älteren Arbeitnehmenden. Auf diese Kompetenz können sie in Zukunft folglich vermehrt setzen.
Die mit der Alterung einhergehenden Rekrutierungsengpässe stellen aber auch die Personaldienstleister vor grössere Herausforderungen – insbesondere da eine mögliche Ausweichlösung, die Rekrutierung im Ausland, politisch umstritten ist.
Dennoch sieht Michael Agoras, Vizepräsident swissstaffing, den freien Personenverkehr mit der EU, gepaart mit der internationalen Diplomanerkennung, als Chance an. Sie erweitern den Handlungsspielraum der Personaldienstleister, steigern die Effizienz der Vermittlungstätigkeit und erleichtern es ihnen, der Wirtschaft die benötigten Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen.
Das schnelle Branchenwachstum der vergangenen Jahre birgt in den Augen der Vorstandsmitglieder hingegen auch ein Risiko. Es führe zu vermehrter Kritik an der Branche – ganz nach dem Motto «Small is beautiful, big is ugly» – und verwässere die Grenze zwischen qualitätsbewussten Personaldienstleister und schwarzen Schafen.
Als Konsequenz möchte der Vorstand den sozialpartnerschaftlichen Dialog suchen, die Branche professionalisieren, die Verbandszertifizierung anpassen und für griffige Sanktionen bei gravierenden Gesetzesverstössen eintreten. Dass die Angebote der Personaldienstleister am Puls der Zeit stehen und für die Schweizer Volkswirtschaft bedeutend sind.
Laut Pierre Triponez erfüllt die Temporärarbeit eine wichtige volkswirtschaftliche Funktion. Sie unterstütze die Arbeitgeber in ihrer Geschäftstätigkeit und trage dazu bei, dass diese ihre fest angestellten Mitarbeitenden weiterbeschäftigen und neue Aufträge annehmen können. Thomas Daum geht sogar so weit und sagt, dass gewisse Branchen verschwinden müssten, wenn es die Temporärarbeit nicht gäbe bzw. letztere zu stark reguliert würde. Auch Paul Rechsteiner anerkennt, dass die Temporärarbeit eine Realität ist, die aber stärker reguliert werden müsse. Alex Beck kontert, dass die Temporärarbeit Arbeitsstellen schaffe und die durch sie geschaffenen Brücken (zum Arbeitsmarkt) bei zu viel Regulierung schmaler würden.